GLOBALE „ECHTZEIT“-MUSIK 291 Dies ist Folge eines im globalen Raum prinzipiell sequentiell agierenden Musi-kers. Das gemeinsame Musizieren von leibhaftigen Musikern in Echtzeit im elekt-ronischen Datenraum bleibt an das strikte Nacheinander gebunden, Folge einer nicht aufhebbaren Distanz zum Gegenüber. Eine globale musikalische ‘Interface’- Kommunikation läßt das Interface nicht aus dem Blickfeld geraten. Ein Blindwer-den für das Interface im global definierten akustischen Raum ist nur in einer kon-struierten Parallelität denkbar, die bei allen Bemühungen aber immer als konstru-ierte für den aktiven Musiker und Rezipienten aber erkennbar bleiben wird. Das Aufgehen der Ferne in Nähe bleibt ausgeschlossen, da die für den musikalischen Zusammenklang absolut notwendige Parallelität der Ereignisse, infolge nicht be-liebig zu verkürzender Übertragungszeiten, nicht erreicht werden kann. Präziser formuliert meint das: Das Schrumpfen von Räumen ist gekoppelt an die Erhöhung von Verarbeitungsgeschwindigkeiten, die - wie man weiß - sich an der Lichtgeschwindigkeit orientieren. Das Maß-Nehmen an der Lichtgeschwindigkeit meint aber auch, daß die Lichtgeschwindigkeit eben nicht erreicht wird und auch nicht erreicht werden kann, da zum einen jede noch so geringe Materialität Über-tragungswiderstände aufbaut und damit die Verlangsamung von Kommunikations-flüssen impliziert, zum anderen auch mit Lichtgeschwindigkeit erfolgende Über-tragungen mit Vergrößerung der Räume Zeit braucht, die mit wachsender Über-mittlungsdistanz von Datenströmen irgendwann merkbar wird. Die Unmittelbarkeit, das Interagieren in absoluter Echtzeit, ist aber die unbe-dingte Voraussetzung für ein Musizieren, das sich am Miteinander einer traditio-nellen Live-Darbietung orientiert. Ein über Räume hinweg sich erstreckendes Mu-sizieren bleibt ein Begehren, das sich nicht erfüllen läßt, und der Versuch, dieses trotzdem zu realisieren, ist an Kompromisse gebunden, um räumlich bedingte Übertragungsverzögerungen auszugleichen. Veranstaltungen, bei denen der globa-le Zusammenklang angestrebt wird, leisten den Zusammenklang durch eine ledig-lich konstruierte Parallelität der Ereignisse, welche durch die strikte Sequentialität einer dargebotenen Musik notwendig geleistet wird. Erst das Zerlegen von Musik in Arpeggi macht weltumspannende Echtzeitmusik und Simultanklang möglich und ist angewiesen auf umfangreiche Absprachen. Ein interkontinentales Mitei-nander- Musizieren, das auf Unmittelbarkeit abzielt, zeigt somit eine Unmöglich-keit an, die in der nicht aufhebbaren Zeitversetzung begründet liegt. Komponisten-inszenierungen von Echtzeitereignissen basieren auf Bemühungen, den Delay- Effekt durch kompositorische Kniffe zu eliminieren. „Wir kommen den Delays kompositorisch bei, packen sie auf diese Weise an der Wurzel an. [...]. Alle Musi-ken sind so angelegt, daß Verzögerungen nichts ins Schwanken bringen“1, sagt so beispielsweise Eberhard Schoener und trägt diesen nicht aufhebbaren Zeitverzöge-rungen Rechnung und komponiert Medienmusik. „Harmonia Mundi“ - Zusam-menklang der Welt - heißt so seine weltumspannende Echtzeitmusik, in der nichts zusammen klingt. Nichts ist determinierter und nichts statischer als eine simultan erklingende globale Echtzeitmusik. 1 Eberhard Schoener, in: Schätzl, Andreas: Eberhard Schoeners „Harmonia Mundi“. In: Keys August ‘93, S. 97