VON DER EINSCHREIBUNG ZUR NEUSCHREIBUNG 292 DER MUSIK Netzwerkagierende Musiker, die nicht nur versuchen den simulierten Gleich-klang, sondern darüber hinaus einen in sich ausgewogenen Zusammenklang zu er-zielen, sind angewiesen auf differenzierteste Absprachen und Vorgaben. Bei Ver-suchen, außer der Ratio auch das Gefühl als musikalisches Moment einzubringen, kann ein in ein Echtzeitnetzwerk integrierter Musiker bestenfalls darum bemüht sein, durch Intuition den in der Zukunft liegenden Klang eines räumlich entfernten Mitmusikers zu antizipieren, um so Ausgewogenheit zu erzielen. Doch ist zugleich für den räumlich weit entfernten Netzwerk-Mitmusiker das aus der Vergangenheit ankommende Klangereignis nur als gegeben und unveränderlich hinzunehmen, was die eigene Klanggestaltung da, wo es um eine einheitliche Interpretation geht, vorab eben vollkommen bestimmt und festlegt. Ein dialogisches Verhältnis und ein Miteinander bleibt letztendlich ausgeschlossen. Das Miteinander wird suggeriert und bleibt doch erkennbare Simulation. Das Ohr als Korrektiv bei der Ausführung der Vorgaben bleibt bei einem solchen Prozeß weitgehend ausgeklammert, da der in der Ferne zu hörende Gesamtklang mit dem in der Nähe produzierten Eigen-klang nie zur Deckung kommen, Fehlerkorrekturen mithin immer so spät kommen, daß sie im Grunde nur neue Fehler evozieren. Zusammengefaßt: Tradierte Formen der Aufführungspraxis lassen sich nicht einfach ins neue Medienzeitalter überführen und Versuche, diesen Transfer trotz-dem zu leisten, führen zu Ergebnissen mit karikaturesken Zügen. Die Evidenz von globalen Aufführungen nach tradiertem Muster ist, daß Nähe und Ferne im Klang präsent bleiben, und wo ein weltumspannender Echtzeitklang zu erreichen gesucht wird, ist dies nur unter erheblichen Anstrengungen, Ausklammerungen und Vorab-sprachen leistbar, um wenigstens ein sequentielles Miteinander zu ermöglichen, was in sich aber schon ein Paradox beschreibt. Diese notwendige Sequentialität determiniert einen jeden Versuch einer instan-tanen Anteilnahme. Erst die Perfektion einer Kommunikation eliminiert die Medi-enmaterialität und läßt die Effekte des Mediums gleichsam unsichtbar werden. Diese Perfektion kann ein weltumfassendes Musikspektakel nicht leisten. „Je grö-ßer die Geschwindigkeit der Bewegung wird, um so absoluter, allgegenwärtiger wird tatsächlich die Kontrolle“, schreibt Paul Virilio.1 Da die Kontrolle im globa-len Datenraum nicht absolut ist, bleibt auch der Gedanke an einen ubiquitären, in-stantanen musikalischen Raum Illusion, sofern das Zusammenspiel von Musikern in der Distanz angestrebt ist. Einzig eine völlige Kontrolle gewährleistende auto-matisierte Echtzeitmusik ließe, da alle Parameter im Vorfeld aufs Genaueste abge-stimmt werden könnten, auf Abruf einen differenzierten, natürlich scheinenden „Zusammenklang der Welt“ Gestalt annehmen. Der Raum strikter Gleichzeitigkeit, der in McLuhans Formulierung des „global village“ manifeste Wortbedeutung er-langt, kann nicht zur Gänze erschlossen werden. Auch wenn die Eingangsmusik der „Harmonia Mundi“ den Titel „global village“ trägt, mit Titelzuweisungen al-lein läßt eine auch im musikalischen Bereich sich findende Dorfgemeinschaft nicht installieren. Der Raum der globalen Anteilnahme ist auf diese Art und Weise nicht realisieren, die ausgerufene Dorfgemeinschaft bleibt sich im Raum des musikali- 1 Virilio, Paul: Rasender Stillstand, a.a.O., S. 134