BEGEGNUNGEN IM NICHT-RAUM 297 Raumes ersetzt nicht nur mehr den Ort der Begegnung, sondern mehr noch, „Nicht-Ort“ und Ort verschmelzen in eins. Es ist damit beschrieben die „Zukunfts-vision einer ‘kollektiven’ Teleexistenz, bei der niemand anwesend sein darf, um da zu sein, sich nicht mehr bewegen darf, einsichtig wie ein Livebild sein muß, um vorwärts zu kommen, ohne vorwärts zu kommen, und um schließlich anzukom-men, ohne irgendwo hinzugehen.“1 Wenngleich das Beschriebene vom heutigen Standpunkt der Technik aus noch weitgehend illusionär erscheint, relativiert sich das Fiktionale daran, wenn man an bestehende Technikangebote und Simulationssysteme denkt, die mitunter einen in der Simulationswelt Eingebundenen zwischen Wirklichkeit und Simulation schon kaum mehr unterscheiden lassen. Trainingsprogramme von Luftwaffe und Marine bieten schon heute ein Beispiel für die prinzipielle Ununterscheidbarkeit zwischen unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen, schon allein deswegen, weil Piloten und Marinesoldaten ohnehin nur Kenntnis von der Außenwelt über Simulationssysteme oder funktionenbedeckte Bedienungsmanuale nehmen.2 Für den Piloten oder Mari-nesoldaten bietet sich, egal, ob er sich in einer echten Kampfhandlung befindet o-der nicht, stets dieselbe Situation, die von Cockpitanzeigen bestimmt ist und - da er nur über seine Cockpitwelt mit der Außenwelt verbunden ist - die für ihn die be-stimmende Realität ist: „Trainiees cannot distinguish between simulated signal displays and genuine signals seen and heard on tactical equipment. [...] The realism is so great that if the exercise is not announced, the crew doesn’t know it’s only a drill.“3 Flugsimulatoren der zivilen Luftfahrt bieten schließlich Außensimulationen in bestechender Qualität, die sich kaum mehr von der unvermittelten Realität unter-scheiden. Nicht nur werden dabei visuelle und akustische Eindrücke vermittelt, sondern auch die mit der Beschleunigung, dem Start, dem Abheben, der Landung (etc.) eines Flugzeuges einhergehenden haptischen Empfindungen. Nur der „Ab-sturz“ und die damit verbundene Wirkung macht die Simulation noch offenbar und von der vertrauten Wirklichkeit unterscheidbar. Durch die völlige Kontrollierbar-keit der digitalen Umwelt gerät der „Absturz“ aber nicht zur Katastrophe, sondern 1 Virilio, Paul: Krieg und Fernsehen. München/Wien 1993, S. 84 2 Das führt u.a. zu Verfahren, „bei denen das Instrumentenbrett und seine verschiedenen Leuchtzeichen durch einen Helm ersetzt werden, eine Art virtuelles Cockpit, dessen durchsichtiges Visier die Flugparameter genau in dem Moment anzeigen soll, wenn sie unbedingt erforderlich sind, während das Gesichtsfeld des Piloten in der übrigen Zeit von allen parasitären Signalen freigehalten wird.“ Dies alles geschieht zum Zwecke der Reaktionszeitminimierung. Zu sehen soll nur das sein, was für den Augenblick von Wichtigkeit ist. Schließlich werden die Elemente zur Steuerung nicht mehr konkret angefaßt, sondern die Steuerung erfolgt „‘mit dem Auge’, indem man die verschiede-nen (realen oder virtuellen) Tasten unverwandt anblickt und dabei ‘ON’ oder ‘OFF’ sagt“ (Virilio, Paul: Das Privileg des Auges. In: Dubost, Jean-Pierre (Hg.): Bildstö-rung. Gedanken zu einer Ethik der Wahrnehmung. Leipzig 1994, S. 59/60). 3 Th. B. Allen, zitiert nach Bolz, Norbert: Eine kurze Geschichte des Scheins, a.a.O., S. 112