KÜNSTLERLEBENSWELTE306 N Welche Konsequenzen sein Handeln hat, mag er über seine INPUT-Eingaben be-stimmen und anhand des gelieferten OUTPUTS überprüfen, wie der jeweilige INPUT aber tatsächlich prozessiert wird, bleibt zur Gänze undurchsichtig, das Ergebnis folgerichtig für den Datenoperateur in weiten Teilen überraschend. Gerade diese graduelle oder sogar völlige Nichtvoraussehbarkeit innerer Zu-stände ist es, was Anwender an algorithmischen Kompositionsprogrammen schät-zen. Die Überraschung kann aber nur gelingen, sofern das Programm nicht-trivial verfährt. Die Nicht-Trivialität ist die Voraussetzung für ein musikkomponierendes Programm. Je weniger festgelegt die Transformationsvorgaben in der Behandlung des Datenmaterials dabei sind, um so ungewöhnlicher vermag sich das computer-generierte Musikereignis auszunehmen - bedingt eben durch eine dem Programm zugebilligte Entscheidungsfreiheit. So wird „die Originalität der Musik davon ab-hängen, wie originell und raffiniert das Programm ist.“1 Die Qualität eines solchen Programmes zeigt sich dann auch darin, daß es auch bei immer gleichen Anfangs-bedingungen immer wieder andere Kompositionsergebnisse liefert, unter denen der Anwender wählen kann. In genau dem Sinne prozediert ja eine nicht-triviale Ma-schine, daß sie rückgekoppelt mit sich selbst die eingehenden Daten gewichtet und prozessiert: „die universale Maschine verändert ihr Verhalten aufgrund von Infor-mationen. [...]. Der Computer kann das Programm durch die Beobachtung seines eigenen Outputs modifizieren - Menschen nennen das Autonomie.“2 Der Reiz und die Effektivität von Kompositionsprogrammen verlören sich schnell, wenn das Programm nicht autonom verfahren würde, so daß bei Eingabe identischer Noten-werte, Dauern, ihrer quantitativen Verteilung, bei Angabe bestimmter Kompositi-onsregeln u.ä. nach Durchlauf des Programmes stets das gleiche Datenmaterial, die gleiche Komposition stehen würde. In dem Maße nun, in dem das algorithmische Kompositionsprogramm interes-sante Ergebnisse produziert und dabei sein nicht-triviales Verhalten beweist, wird im Umkehrschluß vom Anwender - im Sinne Heinz von Foersters - „Gehorsam“ (vgl. Abschnitt: Softwareindividuation) abverlangt und das heißt, dieser wird zu einem weitgehend trivialen Verhalten genötigt und schließlich dazu programmiert, da sein Verhalten vom Optionenangebot abhängt und danach ausgerichtet ist: Aus dem Angebot an Modifikationsmöglichkeiten wählt ein Anwender einige aus, und nach dem Programmablauf kann das Ergebnis angehört und qualifiziert werden. Mehr ist nicht nötig. Wie die Musik jeweils entsteht, welche Konfigurationen wel-che Ereignisse bedingen, all dies teilt sich einem möglichen Anwender nicht mit. Das ganze Processing bleibt undurchschaubar, das Programm eine „Black Box“. Alles, was ein Programmnutzer noch zu tun vermag, ist aus einer mal mehr mal weniger eng umgrenzten Zahl von Möglichkeiten auszuwählen, die komponierte Musik anzuhören und gegebenenfalls den ganzen Vorgang zu wiederholen; ein in seinem Ablauf vorhersagbares, weil immer gleiches und daher triviales Verhalten. 1 Ames, Charles: Künstliche Intelligenz und die Komposition von Musik. In: Kurzweil, Raymond: Das Zeitalter der künstlichen Intelligenz, a.a.O., S. 386 2 Bolz, Norbert: Computer als Medium - Einleitung. In: Bolz, Norbert/Kittler, Fried-rich/ Tholen, Christoph (Hg.): Computer als Medium, a.a.O., S. 12