KÜNSTLERLEBENSWELTEN 307 Statt das Programm zu beherrschen, wird es schlicht bedient, da der Anwender in Funktion des Programmes funktioniert. Was bei diesem Verhalten undurchschaubar bliebe, wäre, was Menschengeist bewegt, dieses oder jenes Angebot zu akzeptieren, ein anderes wiederum nicht, worin sich also Gefallen oder Nicht-Gefallen ausdrückt. Doch auch hier ließen sich auf der Grundlage einer weiteren Nicht-Trivialisierung der diskreten Maschine Al-gorithmen denken, welche rational kaum begründbare Gefallensmaßstäbe der Be-rechenbarkeit überstellen. Dies würde voraussetzen, daß das je prozessierte Musi-kergebnis im nachhinein einer Beurteilung unterzogen würde. Reflexiv verhält sich dabei aber nicht der Operateur, sondern das Programm. Wird im allgemeinen das Endergebnis noch vom Anwender qualifiziert und auf seine musikalische Brauch-barkeit hin geprüft, so wären Algorithmen denkbar, die schon im Vorfeld - quasi im Sinne des Anwenders - Musikergebnisse prüfen und, je nach dem wie eine sol-che Prüfung ausfällt, das Ergebnis verwerfen oder zur Endkontrolle dem Anwender anbieten. Denkbar wären also algorithmische Kompositionsprogramme, die das Verhalten eines Anwenders im Verlaufe des Kompositionsprozesses mit in ihre Berechnungen einbeziehen und die aufgrund dieser Fähigkeit sich so dem ge-wünschten Ergebnis von Kompositionsdurchlauf zu Kompositionsdurchlauf immer schneller und zielsicherer anzunähern vermögen. Das heißt also, ein solches Pro-gramm gewichtet die selbst erstellten Ergebnisse und legt nur die von ihm für gut befundenen Ergebnisse vor. Voraussetzung für eine solche prognostische Fähigkeit wäre die Möglichkeit zum „Lernen“ auf seiten des Programmes. „Lernende“ Kompositionsprogramme sind durchaus nicht in den Bereich der Science Fiction zu verbannen, sondern denkbar und programmierbar.1 So ließe sich die jeweilige Qualifizierung eines Er-gebnisses durch den Anwender gleichsam als für die weiteren Kompositionsdurch-läufe mit zu berücksichtigende INPUT-Eingabe werten dergestalt, daß in dem Wunsch und der Aufforderung zur Wiederholung für das Programm das gelieferte 1 So sind Schachcomputer nichts anderes als mit lernfähigen Programmen ausgestattete Apparate, die aus dem Verhalten ihres Gegenübers eigene Schlüsse ziehen und sich entsprechend verhalten. Für manche Musikanwendungen sind solche „lernenden“ rückgekoppelten Programme längst realisiert. „Das Programm Piano Tutor von Roger Dannenberg zieht Rück-schlüsse aus der Wiederholung typischer Fehler und macht dann entsprechende Vor-schläge. (‘Have a little rest from practising’).“ (Keyboards 5/94, S. 66). Andere Bei-spiele rückgekoppelter Programme bilden ganz fraglos die Kategorien Gehörbildungs-oder Begleitautomatikprogramme. Ein „intelligenteres“ Verhalten legt dagegen ein Programm wie „Tango“ an den Tag. Henning Berg, der Programmierer, qualifiziert sein Programm wie folgt: „Das Programm soll zuhören können, es soll bewerten, was ich spiele, es soll darauf reagieren, und es soll in der Lage sein, das zu verändern“ (Henning Berg, zitiert nach: Noll, Justus: Multimedia, Midi und Musik. Die Welt der digitalen Klänge, a.a.O., S. 277). „Tango“ stellt den Versuch dar, aktiv auf das Spiel des menschlichen Gegenübers durch Analyse zu reagieren und versucht sozusagen, diesem Spielpartner zu sein. Gerade hier ist die Nicht-Trivialität beispielhaft doku-mentiert.