KÜNSTLERLEBENSWELTEN 309 das heißt von den Algorithmen - vorliegt. Oder anders ausgedrückt: um künstlerisch tätig werden zu können, müssen Pro-gramme auch von der bislang nur optionenauswählenden Instanz entworfen wer-den können, wobei dann Komponieren oder künstlerisch tätig sein äquivalent ge-setzt ist mit dem „Entwerfen von Programmen“1, was mit Selbstverständlichkeit dort formuliert wird, wo Computermusiker mit selbstentworfenen Programmen Musik Gestalt annehmen lassen, aber dort, wo kommerziell vertriebene Software auf reine Anwender trifft, mit Unglauben registriert wird und Widerspruch erzeugt. Erst in dem Moment wählt der Datenoperateur nicht mehr vorformulierte Kompo-sitionen aus und ist damit auch nicht mehr ausschließlich zum trivialen Verhalten genötigt, sondern als mitentscheidende verantwortungsvolle Instanz in den Kom-positionsprozeß integriert, indem er nicht mehr - ohne genau zu wissen, welche Folgen sein Tun zeitigt - blind irgendwelchen Instruktionen folgt. Gerade in dem Selbstentwerfen von Programmen liegt auch die Lösung zur Auf-lösung der „Black Box“. Wenn - im Sinne Alan Turings - schon mit Abschluß der Schreibarbeit, mit dem ausformulierten Algorithmus und nicht erst mit der Kon-kretion das Problem gelöst ist, dann ist die „Black Box“ transparent oder gewan-delt in eine „White box“, denn alle Anweisungen für das spätere Processing liegen offen vor, formuliert von dem späteren User dieser Software. Diese proklamierte programmatische Kompetenz deckt sich weitgehend mit der Ansicht Herbert W. Frankes, der handelsübliche Software als offene Systeme be-fürwortet. Offenes System meint dabei, daß dem Anwender Eingriffsmöglichkeiten in die Softwarearchitektur angeboten werden, so daß dieser in die Lage versetzt wird, eigene programmatische Ideen umzusetzen, was die Möglichkeit individuel-ler, auf eine spezielle Anwendung zugeschnittener Softwareprogramme in Aussicht stellt. „Wenn man auf die eigene Programmierung verzichtet, dann ist man auf das angewiesen, was irgendein Programm an Routinen bietet. Das kann sehr viel sein, ist aber beschränkt. Jeder, der dieses System verwendet, verwendet auch dieselben Routinen.“2 Und als Folge dieser standardisierten Ausrüstung von Software, sieht er die unaufhörliche Produktion von Kitsch an, welcher die Compu-ter( bild)kunstwelt beherrscht. Der Kitsch ist das Produkt „der Designer und Künst-ler, die sich mit der eigentlichen Methode und der Freiheit, die der Computer er-möglicht, nicht befassen wollen.“3 Der Zugriff auf den Algorithmus impliziert erst die notwendige Freiheit zur persönlichen Entfaltung und Gestaltung. Andernfalls beschränkt sich die Freiheit „auf den Spielraum, den die Programme uns lassen.“4 Das wiederum führt automatisch nochmals zu dem Stichwort „Bedienungs-freundlichkeit“, was diese aus dem Kontext ausschließlich positiver Konnotationen entführt. Bedienungsfreundlichkeit - wie sie allerorten propagiert wird - steht dem- 1 Reith, Dirk: Elektronische Musik und algorithmische Komposition. In: Enders. Bernd (Hg.) unter Mitarbeit von Hanheide, Stefan: Neue Musiktechnologien, a.a.O., S. 127 2 Franke, Herbert W.: Der Monitor in einem unbegrenzten Raum. ein Gespräch. In: Röt-zer, Florian (Hg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 288 3 Ebd., S. 288 4 Flusser, Vilém: Lob der Oberflächlichkeit. Schriften I, a.a.O., S. 260