KÜNSTLERLEBENSWELTEN 311 rungszeiten trennen fortan die Spreu vom Weizen, die Anwender vom Systemde-sign.“ 1 Solche nur noch der Produktionsfirma vorbehaltenen Zugangsbereiche gründen auf wirtschaftlichen Interessen und dokumentieren wie zementieren - nach Kittler - Machtansprüche. Eine Analyse von Machtsystemen zu betreiben, hieße nach Kittler, „Macht nicht mehr wie üblich als eine Funktion der sogenannten Ge-sellschaft zu denken, sondern eher umgekehrt die Soziologie von den Chiparchi-tekturen her aufzubauen.“2 Wenngleich manch einer Kittlers Analysen zu bedienungsfreundlichen Pro-grammen und Chiparchitekturen nicht zu folgen bereit ist, da Kittler hinter bislang ausschließlich positiv konnotierten Optionen - die Beifügung „freundlich“ sugge-riert dies geradezu - wie den geschilderten einzig Verschwörungstendenzen globa-ler Weltkonzerne verortet, deren Ziel es ist, Gewinnmaximierung und Machtkon-zentrierung mit Hilfe eines illiterat gehaltenen Anwenders zu erreichen, so mag vergegenwärtigt werden, daß einerseits tatsächlich neue Schriftkompetenzen nach-gefragt und zur Orientierung in einer weitgehend immateriellen Kultur unverzicht-bar sind, andererseits dies mit bezug auf rein bedienungsfreundliche Programme nicht gewährleistet werden kann. Auf der einen Seite müssen zunächst einmal Pro-gramme von Schriftkundigen ausgearbeitet werden, was diese als aktive Mitgestal-ter an der Gesellschaft auszeichnet, und auf der anderen Seite werden diese Pro-gramme benutzt werden von reinen Software-Anwendern, was diese aufgrund ei-ner nur partikular oder gar nicht ausgebildeten Schreib/Lese-Kompetenz aus-schließlich in einer für sie vorstrukturierten und gestalteten Welt sich bewegen läßt. Bedienungsfreundliche Programme führen zuletzt dazu, Illiteralität festzu-schreiben. Der Mensch bleibt unter der Bedingung von Bedienungsfreundlichkeit genötigt, „Mensch zu bleiben“, wie es Kittler ausdrückt: „Mögliche Mutationen dieses Menschen zur Papiermaschine sind mit vielfacher Tücke versperrt.“3 Pa-piermaschinen - also mit strikter Disziplin nach den Computerregeln eines Alan Turing operierende Menschen - aber gerade sind es, welche Gesellschaft durch ihre Programme leiten und lenken. Es hieße also unter Verzicht auf jene „Mutation“ zur Papiermaschine gleichwohl Verzicht zu üben, gestaltend in der Gesellschaft mit-zuwirken. Mit anderen Worten: Um für eine Gesellschaft kompetent zu sein, welche mehr und mehr auf computergenerierten Datenflüssen basiert, braucht es die Kenntnis um die Schrift, mit der diese Datenflüsse generiert und organisiert werden. Im Sin-ne Friedrich Kittlers ließe sich dann auch argumentieren, daß je maschinengemäßer die beherrschte Sprache ist, was im Idealfalle das Schreiben und Lesen mit ‘0’ und ‘1’ implizieren würde, um so näher wird auf der Ebene der Hardware operiert und um so mehr wäre die eigene Existenz von Kompetenz geprägt und von einem selbstverantwortlichen Handeln begleitet. Im umgekehrten Falle bedeutet dies zu-gleich: „Je höher und komfortabler die Hochsprachen, desto unüberbrückbarer ihr 1 Ebd., S. 213 2 Ebd., S. 215 3 Ebd., S. 209