KÜNSTLERLEBENSWELTE312 N Abstand zu einer Hardware, die nach wie vor ihre Arbeit tut.“1 Die Möglichkeit zur kritischen Reflexion bestimmter Entwicklungen - oder sei es auch nur die Möglichkeit zur Beurteilung bestimmter Programme - ist explizit gebunden an die Schreib- und Lesefähigkeit. Es wird - nunmehr mit Vilém Flusser -, sofern eine programmatische Kompetenz nicht gesellschaftsumfassend vermittelt wird, sich eine neue Zweiklassengesellschaft ausbilden: die der Programmierer und der Programmierten. Die Programmierer werden dabei bestimmen, was die Pro-grammierten tun und lassen dürfen, worauf sie Zugriff nehmen können und worauf nicht. All dies wird unter dem Etikett der Bedienungsfreundlichkeit firmieren. Wo nicht tatsächlich gesellschaftsumfassend diese Schreib- und Lesekompetenz ver-mittelt wird, und ein Teil der Gesellschaft - selbstzufrieden verharrend - bedie-nungsfreundliche Programme im bewußtlosen Zustand betätigt, dürfte sich tatsäch-lich jene prognostizierte Trennung in Programmierer und Programmierte bzw. die Trennung in Schriftkundige und Analphabeten vollziehen und eine neue Elite aus-bilden. Etablieren würde sich - in der Diktion Flussers - eine schriftkundige bi-schöfliche Kaste bzw. die Mönchselite eines zweiten Mittelalters. „Und diese Bi-schöfe sind die Informatiker, die Computerleute, die Programmierer.“2 Diese neuen Bischöfe verfügen dabei nicht nur, worauf Zugriff genommen wer-den kann, sondern sie bestimmen zugleich, was überhaupt Eingang in den univer-sellen Wissensspeicher Computer findet, denn „Wissen muß übersetzt werden in eine Sprache, die der Computer versteht“3, schreibt Ulrike Bollmann, und das fin-det seine Fortführung bei Jean-François Lyotard, der feststellt: „Man kann daher die Prognose stellen, daß all das, was vom überkommenen Wissen nicht in dieser Weise übersetzbar ist, vernachlässigt werden wird [...]. [...]. Die ‘Produzenten’ des Wissens sowie seine Benutzer müssen von nun ab über die Mittel verfügen, das in diese Sprache zu übersetzen, was die einen zu erfinden und die anderen zu lernen trachten.“4 Gesellschaftlich relevantes Wissen wird folglich nur dann nicht der Vergessenheit anheimgegeben bzw. relevant bleiben, sofern dieses in die gesell-schaftsbestimmenden Wissensarchive überführt ist. Wissensvermittlung wie Ver-arbeitung setzt zuvorderst die Archivierung dieses Wissens voraus, was die Trans-formation des Wissens von einer Sprache in die andere und somit auch Sprach-kompetenz notwendigerweise voraussetzt. Wer also sprachkompetent ist, bestimmt bei der Transformation des überkommenen Wissens in Wissensquantitäten mit, was in Zukunft überhaupt noch als gesellschaftlich relevantes Wissen gilt. Hierin findet eine ausschließlich anwender-orientierte Softwarekompetenz, also eine ober-flächenbehaftete - oberflächliche - Kompetenz ihre Verneinung. Gefordert ist eine 1 Ebd., S. 210 2 Flusser, Vilém: Die Informationsgesellschaft als Regenwurm. In: Kaiser, Gerd/Mate-jovski, Dirk/Fedrowitz, Jutta (Hg.): Kultur und Technik im 21. Jahrhundert, a.a.O., S. 75 3 Bollmann, Ulrike: Von der „Einheit der Sprache“ zur „Mehrsprachlichkeit“ - Sprache und Wissen im Computerzeitalter. In: Mittelstraß, Jürgen (Hg.): Wohin geht die Spra-che? Essen 1989 4 Lyotard, Jean-François: Das postmoderne Wissen. Graz/Wien 1986, S. 23