KÜNSTLERLEBENSWELTE314 N tiell zum Speicher an, die Monade vervollständigt sich, ohne je noch auf endgülti-ge materialitäts- wie kapazitätsgesetzte Grenzen zu stoßen. Eine „Hegemonie der Informatik“ - wie sie Jean-François Lyotard ganz richtig proklamiert - führt zu grundsätzlich neuen gesellschaftsrelevanten Formen des Denkens, was auch unter den Stichworten de-lineares oder auch projektionales Denken firmiert und im vorangegangenen ausführlich Diskussionsgegenstand war. Daraus abgeleitet ergibt sich - in Kombination mit dem Schrumpfen von Spei-chermaterialitäten und dem ökonomischen Zugriff auf das darin eingelagerte Wis-sen -, daß der Mensch - seiner Funktion als Gedächtnisspeicher nunmehr enthoben - sich neuen Aufgaben zuzuwenden vermag, so dem Prozessieren der in den imma-teriellen Gedächtnissen eingelagerten Informationen. Eine immateriell ablaufende Speicherung von Wissen, die kaum noch einer nennenswerten Ausdehnung bedarf, macht es virtuell jedem einzelnen Computeranwender möglich, auf das gesamte menschliche Wissensgut zuzugreifen und neues Wissen auf der Basis eines 0/1- Processings frei zu gestalten. „[A]lle Informationen sind (oder mindestens sind vir-tuell) in den Computergedächtnissen gelagert. Daher ist ein jeder für unsere Kultur kompetent, wenn er gelernt hat, diese Gedächtnisse zu manipulieren. Und zwar nicht nur, diese Gedächtnisse mit neuen Informationen zu füttern und die dort be-reits gelagerten bereits abzurufen, sondern vor allem die dort bereits gelagerten zu koppeln.“1 Der Zugriff in Echtzeit erlaubt dabei das grenzenlose instantane Ver-knüpfen von zeitlosen digits zu neuen Informationen. Es kommt also nicht mehr darauf an, „Informationen ins eigene Gedächtnis zu lagern, sondern in künstlichen Gedächtnissen gelagerte Informationen zu manipulieren.“2 Der Umgang mit Informationseinheiten kann in einer Welt veränderter Wissens-strukturen nur noch in der Manipulation von den in Computergedächtnissen einge-lagerten Daten liegen. Die Manipulation wird geleistet durch die Kenntnis der Zu-griffsmöglichkeiten. Mit der Anzahl derselben sind ihr zugleich auch die Grenzen gesetzt. Um wirklich konstruktiv mit dem Datenmaterial umzugehen, braucht es denn zuvorderst ein Wissen um die Schriftcodes, mit dem Kulturwissensgut mani-puliert werden kann. Deshalb ist - wenn ein wirklich kreativer Umgang mit Daten gewünscht und Kunst das Ziel ist - eine Generalisierung dieses Detailwissens um die Schreib/Lesefähigkeit anzustreben, denn nur in diesem Detail liegt der Schlüs-sel für das Ganze aufgehoben. Das heißt dann zusammengefaßt: Erst mit dem Wissen um die Schriftcodes ließe sich wirklich künstlerisch mit den in Computerschaltkreisen zirkulierenden Daten umgehen. Dies ist um so notwendiger, als daß nicht erst - im Sinne Alan Turings - mit der jeweiligen Konkretion, also mit der Umsetzung eines schriftgefertigten Planes, sondern mit der abgeschlossenen Schreibarbeit das jeweilige Produkt schon fertiggestellt ist. Musikalisch/Künstlerisch ausgedrückt: Ein fertiggestellter zur Musikproduktion gedachter Algorithmus ist die musikalische Komposition. Sie entsteht nicht erst beim Umgang mit dem Algorithmus, sondern sie ist dem Algo- 1 Flusser, Vilém: Ästhetische Erziehung. In: Zacharias, Wolfgang (Hg.): Schöne Aus-sichten. Essen 1991, S. 125 2 Ebd. S. 124