VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 320 MEDIENTHEORIE TOPISCHE Wirklichkeit des Ereignisses durch.“1 Schon ohne die nun noch hinzuge-tretene computergenerierte Wirklichkeit war Wirklichkeit also nichts, was sich un-vermittelt mitgeteilt hätte, sondern ein gestaltetes Produkt. Der Glaube an eine na-türliche Wirklichkeit, welche abzugrenzen wäre von einer medial aufbereiteten, gründet also auf dem Trugschluß, mediale Wirklichkeit wäre von der Alltagsle-benswelt zu trennen und es würde so etwas wie eine Erfahrenswelt außerhalb der Medien existieren. Das Gegenteil ist der Fall.2 Mediale und Alltagswirklichkeit durchdringen einander, Erfahrungen werden immer weniger gemacht, sondern übernommen, und Erfahrungen, die noch selbst gemacht werden, werden von me-dial erworbenen Verhaltensmustern noch maßgeblich bestimmt. Werbung, die nur als medienvermittelte statthat, ist für diesen Durchdringungsprozeß ein anschauli-ches Beispiel. Werbung bietet mit Hilfe der beworbenen und mit Identifikations-mustern aufgeladenen Produkte Angebote zur Übernahme derselben für die, wel-che sich mit den Produkten schmücken.3 „We don’t buy things, we buy values, brands not products. Branding taken to its logical conclusion becomes the largest mythology of all - that our products are our culture, because it is in consumerism that we most express our sense of social belonging. Advertising is the primary source of the symbols with which we structure our social and domestic relation-ships, and consumption is a most potent (and two-way) crossing point for values between the market (public sphere) and the individual (private sphere)“.4 Die Verpflichtung für Musikunterricht wie Schule im allgemeinen, auf eine me-dientheoretisch orientierte (Musik-)Pädagogik zu setzen, gründet demnach auf der schlichten, gleichwohl bislang von Schule weitgehend ausgeblendeten Alltagser-fahrung von Schüler/Innen wie Erwachsenen gleichermaßen, daß mit dem Abwen-den des Blickes vom Bildschirm, welcher Art auch immer dieser sein mag, die ge-genständliche Welt eine von der Welt des Bildschirmes bestimmte ist. Der Bild-schirm ist nicht Spiegelbild der Welt, sondern umgekehrt, die Welt ist Spiegel der Bildwelt. Christian Doelkers Forderung: „Wir kommen gar nicht darum herum, medienpädagogisch tätig zu sein - zu vielen medienbedingten Elementen gilt es ständig Rechnung zu tragen“5 macht also allein schon vor dem Hintergrund des die Welt formenden und vornehmlich von Bildmedien bestimmten Medienalltags Sinn. Sich dieser Medienbestimmtheit zu verweigern, ist in einer medial konturier-ten Welt schlechterdings nicht möglich. Das heißt also, selbst wer konsequent auf alle Medienangebote verzichtet, ist Medienpräformierungen unterworfen und lebt entsprechend, da die konkrete Umwelt Spiegelbild der Medienwelt ist. „Wer heute heranwächst“, schreiben so auch Dieter Baacke und Hans-Dieter Kübler, „tut dies 1 Virilio, Paul: Rasender Stillstand, a.a.O., S. 31 2 Vgl. dazu auch: Baudrillard, Jean: Agonie des Realen, a.a.O. 3 Vgl. Kloepfer, Rolf/Landbeck, Hanne: Ästhetik der Werbung. Ffm 1991, S. 11-28 4 Marshall, Jules. Advertising and New Media: from parasite to Symbiote. In: Mediama-tic 7# 3/4, S. 209-215, hier S: 213 5 Doelker Christian: Medienpädagogik in der Sekundarstufe - der integrative Ansatz. In: Schill, Wolfgang/Tudloziecki, Gerhard/Wagner, Wolf-Rüdiger (Hg.): Medienpäd-agogisches Handeln in der Schule, a.a.O., S. 107