DIE ÄSTHETISIERUNG DER (UNTERRICHTS-)WELT 325 nicht mehr für absolut wahr genommen werden, gleichwohl mit jedem durch Neu-formulierung falsifizierten Gesetz das Neuformulierte der Wahrheit als ein gutes Stück näherstehend betrachtet wird. Es ist also versucht, eine in dem Ganzen ver-mutete Weltformel zu ergründen und folglich, auf diesem Wege der fortschreiten-den Falsifizierung von Gesetzen sich der Wirklichkeit immer weiter anzunähern. Diese Wahrheit ist verpflichtet dem logos; rein kognitiv soll den Phänomenen be-gegnet und aus dem kognitiv Bedachten das Wahrhafte abgeleitet sein. „Die Mo-derne meint weniger eine spezifische Epoche denn eine bestimmte (Denk- )Haltung, die man mit den Termen Verstand, Vernunft oder Logos umschreiben kann.“1 Es wird eine strikte Trennung zwischen der Wahrnehmungs- und der Erkennt-nisarbeit zu vollziehen versucht. Subjektiv ist die Wahrnehmung, doch objektiv das vernunftmäßig abgeleitete Urteil, so zumindest das angestrebte Ziel, und dieses gründet in dem vermuteten ausschließlichen Bezug auf den Gegenstand der Wahr-nehmung, ohne jene selbst im Blickfeld zu halten. Es hat sich aber mehr und mehr herausgestellt, daß es auf die jeweilige Betrachtungsweise ankommt, wie etwas er-scheint und welche Regel dann dahinter aufscheint. So mag vielleicht das Ordent-liche als schön und überprüft, die Unordnung als unschön/häßlich empfunden wer-den; anderes wiederum mag der gängigen Beschreibungsdichotomie schön/häßlich sich gänzlich entziehen und als unbeschreibbar - oder erhaben - erscheinen und damit aus allen Überprüfungsrastern herausfallen. Die Vernunft ist so - Bezug nehmend noch einmal auf den Beginn dieses Abschnittes - bisher angeregt, dem sinnlich schön Empfundenen Regelhaftigkeit zuzubilligen, die es zu aufzudecken gilt und gleichsam - im Falle des Erfolges - das Attribut schön zu objektivieren in dem Sinne, daß schöne Dinge grundsätzlich als regelgemäß operierend betrachtet werden. Die daraus abgeleiteten Regeln, die im Idealfall auch noch schön anzu-schauen sind, werden in diesem Prozeß ebenfalls objektiviert. Erkenntnisarbeit wird so unwillkürlich in strenge Bahnen gelenkt, was den Blick für andere Regel-leistungen verstellt. Das Urteil schön bleibt stets individuell empfunden. Eine jede Objektivation ist also relativ, da auch anders möglich. „Das Geschmacksurteil ist also kein Erkennt-nisurteil“, wie Kant schreibt, „mithin nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann.“2 Eine dem einen unschön empfundene Formel mag einem anderen vollendet scheinen und der Überprüfung auf ihre Plausibilität wert sein. Gesetzmäßigkeiten insgesamt sind nicht absolut zu setzen, auch wenn das schön Empfundene dies vorschnell zu suggerieren vermag, und den Dingen oder dem Sein ist mit erkann-ten Gesetzen auch kein definitiver Grund erweisen. Etwas ist nicht so oder so, es könnte auch ganz anders sein. Man könnte auch so sagen: Alle Erscheinungen auf der Welt sind dem Menschen reine Oberflächeneffekte, die tiefgründig zu entzif-fern gesucht werden, indem nach deren Wesen - nach der dahinter stehenden Ord-nung oder Idee - gefragt wird. Die Welt aber hat sich grundlos gezeigt - als zufällig 1 Jung, Werner: Von der Mimesis zur Simulation. Hamburg 1995, S. 206 2 Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Ffm 131994, B 3,4