VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 328 MEDIENTHEORIE nehmenden Erlebens das Wort geredet und keiner Ästhetik des Schönen. Denn eine Ästhetik des Schönen kann dem Anspruch, die Welt als kontingente zu begreifen, mit der spielerisch umgegangen sein will, nicht gerecht werden. Wo der Geschmack Schönheit sieht in einer mathematischen Formel, einem Lehrsatz, einer wie auch immer gewonnenen Erkenntnis, einem Naturphänomen oder auch einem menschengemachten Kunstwerk, wird allzu leicht sich eingerichtet im Schönen, in dem Bewußtsein einer in sich stimmigen Schönheit, die auch für die Richtigkeit des Empfundenen bürgt. Immanuel Kant hat darauf hingewiesen, daß eine jede Wahrnehmung begleitet ist von einem ästhetischen Urteil. Wahrnehmen heißt empfinden und dieses Empfinden ist das Ergebnis eines reflektierenden Ur-teils, (im Gegensatz zum bestimmenden Urteil, was die Dinge auf Begriffe zu bringen sucht). Etwas wird als schön oder häßlich, groß oder klein empfunden. All jenes sind Bestimmungen, die dem beobachteten Gegenstand nicht gegeben, son-dern von der wahrnehmenden Person reflexiv dem Gegenstand zugewiesen sind. Das heißt also: Wahrnehmen bedeutet nicht nur einfach den Akt des Sehens, son-dern es ist eine reflexive Auseinandersetzung zwischen dem sinnlichen Vermögen der Einbildungskraft und der vernunftmäßigen Auseinandersetzung damit. Im Falle des Schönen finden sich die einzelnen Vermögen im Einklang. Auf ei-ne Harmonie jener zwei Vermögen hob ehedem eine ästhetische Erziehung ab, die ästhetisch mit schön übersetzte und verbunden ist mit dem Namen Friedrich Schil-ler. Im Schönen sind - gemäß dieser Vorstellung - harmonisch zusammengeführt die Vernunft wie das Sinnliche. Der Kunst als schöner Kunst kam dabei die Rolle zu, den Weg zu weisen über die sie tragende und sich durch sie mitteilende Har-monie im Schönen. Sinnlichkeit und Vernunft wollten zur Übereinkunft gebracht sein, und in diesem Sinne erfolgreich geleistete Menschenbildung hätte den idea-lisch gebildeten Menschen gesehen, da diesem an den im Schönen verorteten Wer-ten teilhaftig zu werden bestimmt war. Ziel aller Erziehung war es, die Veredelung des Menschen voranzutreiben, und Veredelung folgte dabei dem Gedanken des Aufgehens des Individuums im Staat, ohne Aufgabe der Individualität. Friedrich Schiller hat mit seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung maßgeblich an der Aus-bildung jenes Erziehungsprinzips Anteil gehabt. Geleitet wurde er dabei von seinen Erfahrungen mit der Französischen Revolution, deren Gewalttätigkeit er ablehnte, dabei aber die Notwendigkeit zur Reformierung des Staates, in dem das einzelne Individuum sich wiederzufinden vermochte, anerkannte. Dabei wurde von Schiller als Grundidee vorausgesetzt: „Jeder individuelle Mensch, [...], trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich“.1 Im Staat ist die Vielheit der Individuen zur Einheit zusammenzuführen. Der reine idealische Mensch, „der sich mehr oder weniger deutlich in jedem Subjekt zu erkennen gibt, wird repräsentiert durch den Staat, die objektive und gleichsam kanonische Form, in der sich die Mannigfaltigkeit der Subjekte zu vereinigen trachtet. Nun lassen sich aber zwei verschiedene Arten denken, wie der Mensch in der Zeit mit dem 1 Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Vierter Brief. Stutt-gart 1965, S. 11