VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 332 MEDIENTHEORIE unter die Arme“.1 Es ist ein Sich-Entwerfen auf Ideen, das nunmehr statthat. Was sinnlich nicht erfaßt werden kann, ist dem freien Spiel der Vernunft überlassen, in-dem das Nicht-Darstellbare geistig trotzdem zu umfassen gesucht ist, das Scheitern in der Darstellung stets daran aber mitgesetzt ist. Es entsteht dabei ein „Paradox“, wie Christine Pries schreibt, „weil mit dem Erhabenen in all seinen Ausprägungen etwas Unmögliches versucht wird, nämlich die Benennung von etwas Unbenenn-barem, kantisch gesprochen: die Darstellung von etwas Undarstellbarem (der Idee).“2 Jean François Lyotard hat den Gedanken des Erhabenen für das Zeitalter der so-genannten Postmoderne aufgegriffen und erweitert, indem er sich nicht allein auf das erhaben Monumentale bezieht, das die Einbildungskraft übersteigt, sondern da-rauf abhebt, daß in allen Darstellungsversuchen zuletzt nur ein Anspielen auf das Undarstellbare angezeigt ist. „Das Absolute kann man also nicht darstellen. Man kann jedoch darstellen, daß es Absolutes gibt. Es handelt sich dann um eine ‘nega-tive’ Darstellung oder, wie Kant sagt, um eine ‘abstrakte’.“3 Indem das Schöne durch das Erhabene ersetzt ist, ist ein endloses Spiel ohne Grenzen mit mannigfal-tigen Möglichkeiten in Gang gesetzt, das mit immer neu entworfenen Formen doch zum Ziel zu gelangen sucht. Wußte das Schöne noch um das anzustrebende eine Ziel, so ist an die Stelle des einen Ziels die Vielheit, die Pluralität der Ereignisse angeschrieben. Es ist ein ständig neues Suchen nach Regeln, das seine Begründung darin erfährt, daß das sinnlich nicht Wahrnehmbare als Denkbares gleichwohl um-zusetzen versucht wird. Aus diesem Prozeß, in dem das als Denkbares darzustellen Gesuchte schlußendlich doch nicht mit dem Dargestellten übereinkommt, wird aber keine Erwartungsenttäuschung und Entmutigung gezogen, sondern im Gegen-teil, die Vernunft ist zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Undarstellbaren angeregt, womit zuletzt die Übersteigung der eigenen Sinnlichkeit geleistet ist. Es wird also - im Kant’schen Sinne - eine Lust aus der Unlust gezogen, und in diesem Übersteigen der eigenen Sinnlichkeit, ist dann das Erhabene lokalisiert. „Es gelingt nicht, das Absolute darzustellen - darin liegt die Unlust; doch man weiß, daß es dargestellt werden muß und daß das Vermögen der Empfindungen oder der Bilder über das Sinnlich-Wahrnehmbare (das Bild) das darzustellen hat, was die Vernunft begreifen kann. Und selbst, wenn es ihr nicht gelingt und wir daran leiden, emp-finden wir doch eine reine Lust bei dieser Spannung.“4 Das Erhabene der Posthis-toire ist folglich geprägt durch ein unaufhörliches, experimentelles Spiel mit Mög-lichkeiten, das keinen Abschluß mehr erfährt. Und mit der Vielfalt der Realisatio-nen wäre festzuhalten: „Kein Kunstwerk ist das Kunstwerk, kein Stil, der Stil, kein Ansatz, der Ansatz. Alle Gestaltung bewegt sich vielmehr auf einem ‘Boden’ von 1 Pries, Christine: Einleitung zu: dies. (Hg.): Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Weinheim 1989, S. 9 2 Ebd., S. 6 3 Lyotard, Jean-François: Immaterialität und Postmoderne. Berlin 1985, S. 98f 4 Ebd., S. 99. Der explizite Bezug auf das Bild gründet in dem Sachverhalt, daß Lyotard hier die abstrakte Malerei thematisiert.