DIE ÄSTHETISIERUNG DER (UNTERRICHTS-)WELT 333 Nihilismus und in einem Raum unabschließbarer Potentialität.“1 Es ist ein auf Nietzsche zurückzuführender Nihilismus, der sich positiv versteht und die konse-quente Destruktion von „Wahrheiten“ und Idealen betreibt, „denn er eröffnet den Spielraum neuer Wertschätzungen, die um ihre Fiktionalität wissen und deshalb von einem eminent ästhetischen, künstlerischen Zug geprägt sind.“2 Die Welt ist also radikal de-ontologisiert und alle Differenzen zwischen Sein und Schein oder auch zwischen Wesen und Erscheinung aufgehoben. Die Welt ist ohne Grund. Einmal als solche erkannt, ist aber der Raum geschaffen, mit dem Nicht- Ergründbaren spielerisch umzugehen und so zum Selbstentwurf anzusetzen. Der Mensch operiert als produktive Instanz und kann den „Tod Gottes“ proklamieren, indem er sich selbst wie die Welt als zu gestaltendes Kunstwerk begreift. Die Wirklichkeit ist nicht das Wiederzugebende, sondern das zu Entwerfende. Alles ist danach nur noch eine Frage der Perspektive, und eine andere Perspektive bringt ei-ne andere künstlerisch gestaltete Wahrheit ans Licht, was dann mit Nietzsche auch heißen mag: „die Wissenschaft unter der Optik des Künstlers zu sehn, die Kunst aber unter der des Lebens“.3 Galt es dem Schönen, noch Bezug zu nehmen auf das Wahrnehmbare, in dem die Welt vermutet wurde, so ist es an dem Erhabenen, gerade auf das Nicht-Wahr-nehmbare zu verweisen und darauf explizit aufmerksam zu machen. Es geht um „das Jenseits der unmittelbaren Wahrnehmung“4, um das Gewahrwerden der Dinge durch das Übersteigen der Wahrnehmbarkeit mittels des Vermögens der Vernunft. In diesem Prozeß der permanenten Übersteigung erfährt sich das Subjekt als pro-duktiv eigengestalterisch und darin seine Lust. Dieses ist nur mit einer Ästhetik des Erhabenen zu leisten, aber nicht mit einer, die im Schönen gefällt. Eine Ästhetik, die sich dem Schönen verpflichtet fühlt, versucht den Einklang zwischen der sinnlichen Einbildungskraft und der Vernunft zu leisten, versucht zu harmonisieren, ja mehr noch, es haftet dem Schönen ein be-täubendes Moment an, indem die eigene Wahrnehmung zum nicht mehr Wahrge-nommenen, zum allzu Selbstverständlichen gerät. „Das Erhabene als Wahrneh-mungsproblem stößt uns quasi direkt auf die Wahrnehmungsproblematik. Das Schöne ist dagegen so gefällig, daß leicht in Vergessenheit gerät, daß es auch wahrgenommen wird.“5 Mit anderen Worten: Indem die Vermögen des Menschen sich im Einklang finden, ist es vielmehr so, „daß der Mensch sich als Subjekt und 1 Welsch, Wolfgang: Die Geburt der postmodernen Philosophie. In: Ders.: Ästhetisches Denken, a.a.O., S. 91 2 Plumpe, Gerhard: Ästhetische Kommunikation der Moderne, Bd. 2. Von Nietzsche bis zur Gegenwart. Opladen 1993, S. 30 3 Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie. In: Ders.: KSA I, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München 21988, S. 14 4 Welsch, Wolfgang: Zur Aktualität ästhetischen Denkens. In: Ders.: Ästhetisches Den-ken, a.a.O., S. 67 5 Pries, Christine: Ästhetik - zwischen Kunst und Philosophie. In: Steffens, Andreas (Hg.): Nach der Postmoderne, a.a.O., S. 193