VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 334 MEDIENTHEORIE zwar als künstlerisch schaffendes Subjekt vergisst“.1 In dem Vorstehenden wird einem Verlust der traditionellen Wirklichkeitsvor-stellung das Wort geredet, einer Wirklichkeit, in der alles gerichtet ist nach Ord-nung und Gesetz. Davon sich zu verabschieden, wo in einer so wohlsortierten Welt sich gemütlich eingerichtet ist, zugunsten eines künstlerischen Daseins, bei dem Gestalten heißt, unaufhörlich mit Konventionen zu brechen und das Entworfene selbst den Künstler immer wieder zu überraschen vermag, mag nicht einladend scheinen und deshalb alles so bleiben, wie es ist. Doch „[d]er Wirklichkeitsverlust ist kein wirklicher Verlust“2, wie Holger van den Boom schreibt, denn erst durch das Arbeiten an jener vorstehenden darzustellenden Wirklichkeit wird das Subjekt eines, das sich seiner selbst bewußt wird. „Das Leben ist eben nicht bloß eine Ver-kettung von Erlebnissen, sondern Werk: Mein Werk bin ich. Das ist Arbeit. Und Arbeit bildet (Hegel).“3 Für diese Arbeit an dem Selbstentwurf, oder anders ausge-drückt, für diese Konstituierung des Selbst braucht es ein Selbstbewußtsein durch Selbstwahrnehmung. Diese will aber erst einmal geleistet sein. Es geht zuletzt, wie Christine Pries mit Blick auf Kant sagt, um die Belebung der Wahrnehmung, um ihre Sensibilisierung und um die der übrigen menschlichen Vermögen.4 Eine solche Belebung ist vonnöten, wo, dem Ideal Schillers gar vor-dergründig Folge leistend, eine Ästhetik des Schönen allerorten gegenteilig wirkt. Denn die bloße Ästhetisierung der Alltags(um)welt bleibt inhaltsleer und dem allzu Bekannten verhaftet, so daß diese als das nicht mehr Wahrnehmbare in die absolu-te Indifferenz überführt. Wenn man sich aber nur in Wechselbeziehungen zum je Entgegenstehenden erfährt, ist auch die Beziehung zu sich selbst zuletzt eine von Indifferenz geprägte. Das Schöne allein betäubt die Sinne. Der Blick ist dabei nicht mehr projektiv in die Zukunft - das Mögliche -, sondern kritiklos in die Vergan-genheit gerichtet, und die Gegenwart aufgefüllt allein mit deren Attributen. Diese reine selbstgenügsame Ästhetisierung aber beläßt auch den Anschauenden im Zu-stand der Betäubung. Gesellschaft erstarrt in der Ereignislosigkeit, in der Redun-danz, im Stillstand. Dieser Stillstand auf der einen Seite führt aber auf der anderen Seite zu einer Aktivität besonderer Art. Denn die durch das Schöne herbeigeführte Selbstnarkotisierung drückt sich nunmehr darin aus, plötzlich selbstlos geworden, jenes Selbst in Aktivitäten und Erlebnissen wiederzufinden, die keine sind. Des-halb sind in einer Erlebnisgesellschaft überall Erlebnisse zu leben, die nur der Eti-kettierung nach „Erlebnis“ sind. Das Nicht-Erlebnis fördert im Erleben nur die Sucht nach weiteren Nicht-Erlebnissen, die nicht erleben lassen, worin die Sucht nach mehr gründet. „Worauf es gegenwärtig ankäme, ist nicht eine solche Hyper-ästhetisierung der Kultur, sondern - eher gegenläufig dazu - die Entwicklung einer 1 Nietzsche, Friedrich: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne 1. In: Ders.: KSA I, a.a.O., S. 883 2 van den Boom, Holger: Digitaler Schein oder: Der Wirklichkeitsverlust ist kein wirk-licher Verlust. In: Rötzer, Florian (Hg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 183-205 3 Ebd., S. 187 4 Vgl. Pries, Christine: Ästhetik - zwischen Kunst und Philosophie. In: Steffens, Andre-as (Hg.): Nach der Postmoderne, a.a.O., S. 198f.