VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 336 MEDIENTHEORIE keitswahrnehmung durch Medien aufmerksam. „Die Gestelle verstellen [...] nicht nur den ‘natürlichen’ Weltaspekt, sondern präformieren unsere Weltwahrnehmung. Deshalb muß eine wissenschaftliche Ästhetik, d.h. eben eine Lehre von der Wahr-nehmung, heute als Medientheorie formuliert werden.“1 Ästhetische Erziehung in der Schule hat in diesem Sinne medientheoretisch zu verfahren, wobei zum einen die eigene Wahrnehmung in dem Wissen um die Subjektabhängigkeit allen Erken-nens ins Zentrum gestellt ist und zum anderen das apparatgerechte Wahrnehmen gelehrt sein will. Ästhetische Erziehung wäre also zu umschreiben als eigengestaltendes, wahr-nehmendes Erkennen. Dabei kommt dem Umgang mit dem Computer zum Be-wußtmachen der Eigenreflexion bei allen Wahrnehmungsprozessen maßgebliche Bedeutung zu, was im folgender Aussage ausgedrückt ist: „Wer ständig mit CAD arbeitet, weiß um die Virtualität und Manipulierbarkeit von Wirklichkeit; er hat er-fahren, wie wenig wirklich die Wirklichkeit ist, wie sehr sie ästhetisch modellier-bar ist.“2 Mit anderen Worten: Computermedien nunmehr haben die Auflösung der Einheit der Differenz von Schein und Sein endgültig bewirkt, ja mehr noch, sie las-sen für jedermann (frau fraglos auch) deutlich werden, daß die Differenz zwischen Sein und Schein von je her eine konstruierte war. Und für den einzelnen entspringt daraus die Erkenntnis, wie sehr Hinwendung und aktive Eigengestaltung Anteil hat an der Konstituierung dieser Wirklichkeit, und daß nichts so ist und sein muß, wie vermeintlich angenommen wird. Wo die Wirklichkeit als fiktional erkannt ist und sich so amorph erweist, daß sie als zu gestaltendes Projekt angesichtig wird, gilt es folglich im weiteren, Modellie-rungsfähigkeiten zu entwickeln und sie Schülern/Innen zu vermitteln. Das wäre ebenfalls die Aufgabe von Unterricht, und hier erfährt Medienkompetenz, kombi-niert mit Reflexionsbewußtsein, ihre eigentliche Erfüllung. Die Wirklichkeit wird zu einer ästhetischen Angelegenheit, ästhetisch dabei verstanden im Sinne von „Virtualität und Modellierbarkeit“.3 Um an gesellschaftlich relevanten Prozessen zukünftig Anteil nehmen zu können, bedarf es einer Medienkompetenz, die projek-tiv zum Mitgestalten an der Gesellschaft befähigt. Die Schule hat sich auf diese veränderten Bedingungen einzustellen und entsprechende Fähigkeiten zur aktiven Anteilnahme zu vermitteln. „Der Unterschied zwischen der klassischen und der neuen Schule ist, daß die Formen (Informationen) nicht mehr als zeitlos unverän-derlich, sondern als veränderbar und erfindbar angesehen werden. Nicht kontemp-lative Philosophen, sondern aktive Erzeuger neuer Informationen, also aktiv an der Mehrung der Kultur Beteiligte sind das Ziel der Erziehung“4, was Flusser folge-richtig ergänzen läßt, „daß derartige kreative Menschen [...] doch in der Tradition 1 Bolz, Norbert/van Reijen, Willem: Walter Benjamin. Ffm 1991, S. 107 2 Welsch, Wolfgang: Das Ästhetische - eine Schlüsselkategorie unserer Zeit? In: Ders. (Hg.): Die Aktualität des Ästhetischen, a.a.O., S. 18 3 Welsch, Wolfgang: Das Ästhetische - Eine Schlüsselkategorie unserer Zeit? In: Ders.: Die Aktualität des Ästhetischen, a.a.O., S. 20 4 Flusser, Vilém: Ästhetische Erziehung. In: Zacharias, Wolfgang (Hg.): Schöne Aus-sichten? A.a.O., S. 126