VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 348 MEDIENTHEORIE Beläßt man es bei jenem vertrauten Klassifizierungsmuster, wobei das je Klassi-fizierte zugleich implizit qualifiziert ist - denn so wie im Natürlichen gemeinhin das Positive verortet wird, wird im Künstlichen dessen Gegenteil vermutet - wird vielleicht von vielen Neuer Technologie mit Reserviertheit begegnet, so daß eine Auseinandersetzung, sofern diese überhaupt erfolgt, weniger die zu erforschenden Potentialitäten erfahren läßt, als vielmehr sich in dem Vergleichen mit den bisheri-gen Musiziererfahrungen erschöpft. Das führt dann zu Äußerungen, die einzig eine Entmenschlichung mit dem Aufkommen des Neuen vermuten und vorbehaltlos davon Abstand nehmen lassen. Kurz: Eine Musikpädagogik, welche den gesellschaftlichen Gegebenheiten an-gemessen sein will, ist angewiesen, auf die Künstlichkeit des Natürlichen hinzu-weisen und Konzepte dafür zu entwickeln. Und im konkreten Unterrichtsalltag wä-re dies gerade auch am Beispiel des Konstruierens von neuen Klangwahrschein-lichkeiten leistbar, über das SchülerInnen jene Einsichten zu vermitteln wären. Um dies etwas konkreter zu fassen: Denkbar wäre solches Unterrichten mit Pro-grammen, welche rein softwaremäßig gängige Syntheseverfahren nachzugestalten erlauben (TURBOSYNTH, AVALON). Die Vorteile solcher Programme liegen allein schon darin, daß es nicht diverser Synthesizer zur Aufarbeitung unterschiedlicher Syntheseverfahren bedürfte, sondern mit Vorhandensein eines Computers plus Programm die Hardware/Softwarevoraussetzungen erfüllt wären - was in dieser Konstellation im übrigen Kosten sparen hilft. Der Signalverlauf von entwickelten Klängen kann Schritt für Schritt nachvollzogen werden, Aufgaben von Synthese-bausteinen können von Schülern selbst erprobt werden, Neuverknüpfungen zwi-schen diversen Bausteinen getätigt werden u.a. So werden die Qualitäten wie auch der Sinn der letztendlich im Synthesizer verwendeten Klangsynthese hörend veran-schaulicht. Kein abstrakt theoretisches Wissen würde dargestellt, sondern das eige-ne Tun der Schüler stünde im Vordergrund. Gleichwohl hieße es, da die Ergebnis-se jenes Tuns unaufhörlich durch Überprüfung durch das Gehör neu zu qualifizie-ren wären, das eigene Hören zu schulen und für Klangphänomene zu sensibilisie-ren sowie zuletzt jenes als einzige Kontrollinstanz zu respektieren. Darüber hinaus bieten die angegebenen Programme die Möglichkeit, Syntheseverfahren selbst zu entwerfen und zu erproben, wobei im Vergleich mit den eigenen Stärken und Schwächen gängiger Syntheseverfahren durch Vergleich zu qualifizieren sind. Schließlich wären so die Voraussetzungen geschaffen, Klangwirklichkeiten, deren Weg bis zur endgültigen Gestalt Schritt für Schritt nachzuvollziehen wäre, zu schaffen, die sich eben nicht mehr am Wohlvertrauten orientieren, sondern das Ungewöhnliche in den Vordergrund stellen und verwirklichen. Über das eigene Gestalten wird dabei das Unwahrscheinliche als gewöhnlich erfahren und als Ver-wirklichtes dem Wirklichen gleichberechtigt zur Seite gestellt. Zusammengefaßt: SchülerInnen - aber nicht nur die - hören heutzutage vielfach Musik, die fast vollständig auf elektronischem Wege realisiert ist, was auf die Formel gebracht werden kann: Das musikalische „Cyberspace“ ist längst verwirk-licht, und SchülerInnen haben sich darin eingerichtet. Musikunterricht kann nun-mehr zur Mitgestaltung anregen und eine entsprechende Gestaltungskompetenz