VOM PASSEN DER ARGUMENTE 351 rein asemantisches Medium prozediert. Die auf die Wirkung von Musik bezogene Argumentation dürfte gemeinhin auf breiten Konsens stoßen und alltägliche Unter-richtspraxis ihr genügen, denn selbst programmatischer Musik beispielsweise ist ein kaum einzuengender Interpretationsspielraum zuzubilligen. Sie ist nicht auf das ihr zugrundegelegte Programm zu reduzieren. Programmatische Aspekte einer Mu-sik mögen mitbedacht und selbstverständlich im Unterricht auch mitgeteilt sein, bleiben aber für den Umgang mit der Musik zuletzt bedeutungslos. Ja, es hieße so-gar - wo emotive Befindlichkeiten und Programme sich unvereinbar gegenüberste-hen - auf die Gleichwertigkeit beider Pole explizit hinzuweisen. Wer beispielswei-se beim Hören von Saint-Saëns „Aquarium“ Assoziationen an die Bergwelt und Wälder hat, hat nicht weniger „Recht“ mit seinen Darlegungen als jener, der sich tatsächlich im Medium Wasser wähnt und Fische vorstellt. Was zuletzt Saint- Saëns zur Komposition bewegt hat, kann somit beim Umgehen mit der Musik völ-lig gleichgültig bleiben. Beliebigkeit ist aber des weiteren ein näher zu umreißender Begriff, denn sie bleibt zuletzt bei aller Verschiedenartigkeit der Empfindungen eine eingeschränk-te: „Unser ästhetisches Erleben ist nie ausschließlich unser individueller geistiger Besitz. Jedes ‘Ich’, das wir dem ästhetischen Empfinden der Außenwelt entgegen-stellen, besteht aus vielartigen von der Gemeinschaft übernommenen Elementen, die ‘Nicht-Ich’ sind und unsere Aufnahme eines Kunstwerkes lenken. Unsere sub-jektiven Erlebnisse werden von intersubjektiven Faktoren bestimmt, worüber wir uns aber zumeist nicht Rechenschaft ablegen.“1 Das Nicht-Ich im Ich engt Belie-bigkeit ein, was auf das Nicht-Ich, dem - nach Lissa - „kollektiven musikalischen Bewußtsein eines Milieus, einer Zeit“2, aufmerksam machen und dieses thematisie-ren läßt. In der analytischen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand des Unterrichtsin-teresses (und in der Auseinandersetzung mit dem/der Pädagogen/In) bedarf es schließlich, beim Vertreten von Standpunkten, des schlüssigen Arguments, was Beliebigkeit in strenge argumentative Bahnen zwingt, denn wo nicht nur Wirkun-gen einer Musik befragt sind, sondern Verläufe einer Musik zu untersuchen sind, müssen Argumente Plausibilität beweisen; sie müssen dem Sachverhalt angemes-sen sein und eben „passen“. „Das Signal ‘beliebig’ heißt also nichts anderes als: beobachte, beschreibe, analysiere das System, dessen Operationen Du auf Grund Deiner Kenntnis seiner Umwelt nicht voraussagen kannst.“3 Eine Fuge oder eine Sonate ist nach einem ganz bestimmten Formprinzip aufgebaut und selbst die freie Fantasie folgt noch der Regel, daß sie eben keine Regel hat. Dieses Erkennen von Strukturen in musikalischen Verläufen fußt auf Beobachtungen und dem Verglei-chen mit schon gemachten Erfahrungen und leitet das musikalische Denken. Ein solches Wissen um Strukturen will vermittelt und gelernt sein. Doch bleibt zuletzt jene Regel bestehen, welche besagt, daß alles als eine Möglichkeit vor einem Hori- 1 Lissa, Zofia: Neue Aufsätze zur Musikästhetik. Wilhelmshaven 1975, S. 113 2 Ebd., S. 113 3 Luhmann, Niklas: System und Absicht der Erziehung. In: Luhmann, Niklas/Schorr, Eberhard (Hg.): Zwischen Absicht und Person. Ffm 1992, S. 103