Das Einmalige und das „Gleich-Gültige“„Der Wert des Kunstwerkes darf übrigens traditionellerweise nicht vervielfältigbar sein, wie etwa in einem Spiegelbild. [...] Der versammelte Wert der Kunst [...] ist in Raum und Zeit nur einmal vorhanden, Ori-ginal. Eine vollständige Kopie des Origi-nals zerstört dessen Einzigartigkeit!“1 „Die Geschichte als ausgedehnte Zeit - Zeit, die andauert, die eingeteilt und orga-nisiert wird, die sich entfaltet - verschwin-det zugunsten des Augenblicks, so als be-stünde das Ende der Geschichte im Ende der Dauer. Sie verschwindet zugunsten ei-ner sofortigen und schlagartigen Allge-genwärtigkeit.“ 2 Das Originale am Kunstwerk in der Musik zu früheren Zeiten war, bedingt durch den Akt der materiegebundenen Einschreibung, schlicht das schwer Wan-delbare. Als solches bestand es und war original. Das Original besticht durch seine Einzigartigkeit. Darin erfährt es seinen eigentlichen Wert, und seine Verdoppelung konnte nur in Form der Kopie des Ähnlichen, aber nie im Identischen statthaben.3 Das heißt, der Versuch einer Reproduktion ließ das Original in seiner Einzigartig-keit nicht nur unangetastet, sondern die stets ungenügend bleibende Reproduktion bestätigte es in seinem als einzigartig empfundenen Sein. So schließlich konnte ein Denken sich etablieren, das auf originäre Wirklichkeitsbedingungen verweist und dabei auf einen zu beziehenden Ursprung - den Ort seiner Entstehung - abhebt. Die Folge: Die Hofierung des mit einer Aura umkleideten Originals. Computer zeigen nun, daß das Original gleichsam nach Verwandlung trachtet und die Originalität eines Werkes Folge eines Speicherverfahrens ist, das den Wandel erschwert. Nunmehr sind mit Computern unzählige Originale zu schaffen, die je für sich anders sein, aber gleichwohl auch mit sich identisch sein können. Der Ort der Vervielfältigung ist nicht mehr lokalisierbar. Dasselbe gilt für den Zeitpunkt. Allein die Möglichkeit und nicht erst die aktuelle Verwirklichung einer identischen Produktion ist schon ausreichend, um das Original seiner Einzigartig-keit zu entkleiden. Das Einmalige ist im „Gleich-Gültigen“ aufgegangen. Der 1 van den Boom, Holger : Digitaler Schein - oder: Der Wirklichkeitsverlust ist kein wirklicher Verlust. In: Rötzer, Florian (Hg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 190 2 Virilio, Paul/Lotringer, Sylvère: Der reine Krieg. Berlin 1984, S. 50 3 Vgl. Ernst, Wolfgang: (In)Differenz: Zur Ekstase der Originalität im Zeitalter der Fo-tokopie. In: Gumbrecht, Hans-Ulrich/Pfeiffer, Karl-Ludwig (Hg.): Materialität der Kommunikation, a.a.O., S. 498-519