VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 356 MEDIENTHEORIE Computer kennt keine Kopie, weil alles original ist und immer im „Jetzt“ ge-schieht. Die Konsequenz für die Schule daraus wäre, ⇒ diese Jetzt-Gewandtheit aller Digitalität deutlich zu machen, indem die Auflö-sung der Einheit der Differenz von Zeit/Ort veranschaulicht wird; ⇒ die Gleichsinnigkeit der Begrifflichkeiten Original/Kopie herauszustellen, da Computerkopien allesamt Originale sind, dadurch aber Originalität in Indiffe-renz implizit umschlägt. Wo es zudem kein früher mehr gibt, entfällt auch das Originalitätskriterium des vorher/nachher; ⇒ die allem Werk Genannten inhärente Wandlungsoption zu verdeutlichen. Sequencerprogramme können zur Darstellung des Gesagten helfend im Unter-richt herangezogen werden. Es braucht nicht viel, und ein Werk ist vervielfältigt und dabei je dem Vorbild identisch, oder es ist durch leichte Veränderung des Da-tenmaterials eine Alternative aufgezeigt, womit die Tendenz zur Wandlung doku-mentiert ist. Sequencerprogramme bieten mannigfaltige Möglichkeiten, eingespiel-te Daten in Transformpages zu „verbiegen“, was beispielsweise meint, Tonhöhen-daten zu augmentieren/diminuieren oder auch gar nicht mehr als Tonhöhendaten zu interpretieren, sondern vielleicht als Modulationsdaten zu nutzen usf. Das Wandlungsvermögen von Werken im Digitalen sowie die Gegenwärtigkeit des Di-gitalen wird dort anschaulich, wo mit Hilfe entsprechender Programme eingespiel-te Musik-Daten ins Visuelle transformiert werden oder umgekehrt. Deutlich wird dabei, daß der Ausleseprozeß in der Jetztzeit verfügt wird und daß, wo das Jetzt regiert und bestimmt, wie Werk sich gibt - ob als Bild, Ton etc. - das Werk in sei-nem Ursprung nur noch von marginalem Interesse ist. Ein Ursprung ist kaum mehr verortbar. So mögen zwar noch Ursprünge aus der Musikliteratur ergründet wie zeitlich bestimmt werden, doch ist auch darin immer nur die Möglichkeit einer Existenzbedingung angeschrieben und somit relativiert. Einmal in den Computerkreislauf überführt, ist eine jede Musik ihres Ursprungs entledigt, das Musikmaterial zeitlos und dem freien Gestaltungswillen von Compu-terkundigen überantwortet. Das Dargebotene kann jeweils akzeptiert, aber auch in dem Wissen um die potentiell verfügbaren anderen Möglichkeiten verworfen und nach Maßgabe verändert werden. Bestehende Werke sind für SchülerInnen dann als das erkennbar, was sie sind, als lohnende Steinbrüche, die zum Modellieren einladen. Wo dies erkannt ist, verliert sich schnell die Scheu vor dem Manipulie-ren. Auf Letztbedeutungen gar auf die Abgeschlossenheit von Werken im Unterricht noch abheben zu wollen, dürfte kaum mehr vertretbar sein. Das Festhalten an überkommenen Werten, die so und nicht anders sind, ist folglich aufzugeben. Im Computer ist alles Prozeß, und auf diese Prozeßkompetenz gilt es im Unter-richt abzuheben, was heißt, deutlich zu machen, daß es keine definitive Entschei-dung und nichts Dauerhaftes mehr gibt, und daß alles immer nur momentanes Zwi-schenergebnis in einem endlosen Variationsspiel ist. Was woraus folgt, ist in ei-nem solchen Variationsspiel kaum oder gar nicht mehr nachvollziehbar und auch nicht mehr von Interesse. Wo das prozeßhafte Arbeiten und die Beteiligung daran