Von der Programmautonomie zum autonomen Handeln „Eine Tugend gibt es, die liebe ich sehr, eine einzige. Sie heißt Eigensinn. - Von al-len den vielen Tugenden, von denen wir in Büchern lesen und von Lehrern reden hö-ren, kann ich nicht so viel halten. Und doch könnte man alle die vielen Tugenden, die der Mensch sich erfunden hat, mit ei-nem einzigen Namen umfassen. Tugend ist: Gehorsam. Die Frage ist nur, wem man gehorche. Nämlich auch der Eigensinn ist Gehorsam. Aber alle anderen, so sehr be-liebten und belobten Tugenden sind Ge-horsam gegen Gesetze, welche von Men-schen gegeben sind. Einzig der Eigensinn ist es, der nach diesen Gesetzen nicht fragt. Wer eigensinnig ist, gehorcht einem ande-ren Gesetz, einem einzigen, unbedingt hei-ligen, dem Gesetz in sich selbst, dem ‘Sinn’ des ‘Eigenen’.“1 Eigenkomplexität schützt vor Fremdbestimmung, so lautet die Formel, die sich SchülerInnen im Umgang mit selbstprogrammierten Programmen mitteilt und zu-gleich diese nach der Autonomie komplexer Programme, wie sie in allen Berei-chen der Gesellschaft Verwendung finden, fragen ließe. Allerorten wird der Faktor Mensch ersetzt durch komplexe Computerprogramme, welche beispielsweise zur Flugzeugsteuerung, Kernkraftüberwachung oder auch im militärischen Bereich eingesetzt sind. Begleitet werden solche Computerautomatisierungen von der weit verbreiteten Vorstellung, absolute Sicherheit bieten zu können, und vergessen wird dabei, daß zum einen die Leistung der Programme von der Vorstellungskraft ihrer Programmierer abhängt, welche versuchen, alle möglichen Situationen program-matisch umzusetzen sowie Steuerungsvorgänge mitunter begleitende Störgrößen programmatisch aufzufangen. Schon all jene Bedenken bleiben bekanntlich unvoll-ständig (vgl. Abschnitt: Verfehlte Individuation). Automatisierung heißt dann folg-lich, Verantwortung auf Programme zu übertragen, die nicht auf alle Eventualitä-ten vorbereitet sind und im entsprechenden Falle auch nicht adäquat zu reagieren imstande sind. Katastrophen sind also mit der Installation solcher Steuerungsme-chanismen immer vorprogrammiert. Zum anderen aber geht mit einer von Programmierern eingebrachten reichhalti-gen Vorstellungskraft eine sehr hohe Programmkomplexität einher, was zwangs-läufig wieder Programmierfehler zur Folge hat und des weiteren Programme letzt-lich zum Souverän ihrer Entscheidungen macht, die keiner vollständigen Außen-kontrolle mehr unterliegen. Wo sich SchülerInnen diese Einsichten über das eigene 1 Hesse, Hermann: Eigensinn. In: ders.: Hermann Hesse Lesebuch. Ffm 1992, S. 240