VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 366 MEDIENTHEORIE Heranwachsende als das erkennbar, was es ist: als unlauteres Gerede bzw. unver-antwortliches Handeln. Auf eine gesellschaftliche Entwicklung planend Einfluß nehmen zu wollen heißt also, Gesellschaft als „black box“ zu begreifen, nach Plan zu handeln, zu schauen, wie lange es gut geht und immer bereit zu sein, konsequent Planänderungen vor-zunehmen. Das ist dann die Aufgabe von Management, und die Aufgabe von Poli-tik ist es, das kurzfristige Fallen-Lassen des gestern noch Gewollten und für richtig Befundenen nach außen hin wieder als Akt eines geplanten Handelns darzustellen. Das schafft dann Vertrauen. In einem jeden Plan ist also schon vor seiner Ausführung eine Revision ohne Voraussicht auf das Kommende angelegt. Der Versuch, alles im voraus planen und daran auch festhalten zu wollen, führt letztendlich zu dem gleichen Ergebnis wie vollständig ungeplantes Agieren: Zum absehbaren Scheitern. Aus diesem Grund sind denn mit wachsender gesellschaftlicher Komplexität auch über Jahrzehnte gewachsene überall in der Gesellschaft anzutreffende komplexe Organisations-strukturen vielerorts in der Auflösung begriffen. Sie sind zur Plansollerfüllung nicht mehr geeignet und zu träge, veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen und sich ihnen anzupassen. Organisation soll zunächst das infolge von Komplexität nicht mehr Überblickba-re handzuhaben helfen, denn sie „kompensiert mithin ein logisches Rationalitätsde-fizit in den Entscheidungen“.1 Organisationen bieten Entscheidungssuchenden vor-formulierte Entscheidungen oder wie Niklas Luhmann schreibt: „Organisations-systeme sind soziale Systeme, die aus Entscheidungen bestehen und Entscheidun-gen wechselseitig miteinander verknüpfen.“2 Gewachsene komplexe Organisati-onsformen mit ihren starren Strukturen, welche Komplexität aufzufangen suchen, verlieren heute an Relevanz, weil weitgehend standardisierte Entscheidungen, wel-che sich in den Strukturen spiegeln, auf stabile Außenzustände angewiesen sind, mit denen sie bis zu einem gewissen Grad korrelieren müssen, um noch einiger-maßen zuverlässige Ergebnisse zu liefern. Stabile, über längere Zeit währende Au-ßenzustände aber sind nicht mehr gegeben, in der Rückkopplung mit dem Compu-ter sowie in den Vernetzungen mit der Welt ist Gesellschaft selber einem Prozeß des schnellen Wandels unterworfen, so daß der jeweilige Außenweltzustand vom Organisationssystem nicht mehr aufgearbeitet werden kann, denn in der Zeit, die zur Aufarbeitung notwendig ist, haben sich die Außenbedingungen längst wieder verändert. Das führt allerorten zur Dezentralisierung und zum Schlagwort des „Lean-Management“, denn kleine Systeme können dem Wandel schneller folgen, dies allerdings dann unter der Aufgabe, gebotene Alternativen noch umfassend prüfen zu können. Das Risiko des Irrtums bei einer Entscheidungsfindung wird durch die Möglichkeit weiterer, gleichwohl wieder risikobehafteter Entscheidun-gen aufzufangen gesucht. Das Risiko liegt in der Möglichkeit zur alternativen Ent-scheidung begründet, denn sich zu entscheiden heißt, Selektionen zu tätigen und 1 Luhmann, Niklas: Organisation und Entscheidung. In: Soziologische Aufklärung 3, a.a.O., S. 336 2 Ebd., S. 339f.