VON DER PROGRAMMAUTONOMIE ZUM AUTONOMEN HANDELN 367 damit denkbare andere Entscheidungen nicht zu tätigen. „Jede Selektion ist kontin-gent, also auch anders möglich. Jede Selektion ist daher einerseits riskant und an-dererseits unumgänglich. Sobald man es mit Komplexität zu tun hat, hat man es mit der Notwendigkeit von Kontingenz zu tun. Sobald man es mit Komplexität zu tun hat, hat man es mit der Unumgänglichkeit riskanter Entscheidungen - und zwar: für alle sichtbar riskanter Entscheidungen - zu tun.“1 Wo die Umwelt sich als komplexe, nicht mehr berechenbare erweist, versucht man den unbeweglichen, weil komplexen Apparat zur Entscheidungsfindung be-weglicher zu gestalten und dies durch die Vervielfachung von Entscheidungsträ-gern, womit das Risiko zur Fehlentscheidung fraglos potenziert wird. Doch Fehl-leistungen führen durch ihr Eingeflochten-Sein in ein Netzwerk anderer Entschei-dungen nicht automatisch zum Zusammenbruch, sie werden von der Entschei-dungsvielfalt aufgefangen und ihr Wirkfeld damit relativiert. Das Ziel ist es also heute nicht mehr, noch mehr Voraussicht - also Planung - zu betreiben, denn dies führt mit noch größerer Gewißheit zum gleichen Ergebnis des Scheiterns, sondern die Möglichkeiten zur Revision implizit mit in die Planung einzubeziehen. Und das heißt dann, nicht genau zu wissen, wohin der Weg führt. Es sind also Unwägbar-keiten in alles Denken und Vorausplanen zu integrieren. Ein solches Umdenken ist um so mehr abverlangt, als es sich mehr und mehr herausstellt, „daß jeder neue Versuch, Vereinfachungen, Verknappungen, Verkür-zungen und Verschlankungen an die Stelle von Komplexität zu setzen, eine Unter-nehmungsorganisation und ihr Management nicht einfacher macht - sondern kom-plexer. [...]: Je kundennäher, flexibler und reaktionsschneller es zugeht, desto mehr holt man sich das Chaos aus der Umwelt in die Firma selbst hinein.“2 Wenn Struk-turen immer unübersichtlicher werden und Entscheidungen schnell notwendig werden und abverlangt sind, hat das sorgfältige Abwägen auf der Grundlage von Wissen ausgedient und der weitgehend ungeprüften Meinung zu weichen.3 Daraus folgt, es wird ein erhebliches Maß an Flexibilität abverlangt, in dem Sinne, „daß Flexibilität vor allem ‘Nicht-Festgelegt-Sein’“ bedeutet, um die Fähigkeit auszu-bilden, „Gelerntes, Gekonntes und Gewohntes dauernd in Frage zu stellen“.4 Dieser lange nicht-schulische und schon gar nicht-musikalische Vorlauf wollte darauf hinweisen, daß Unterricht, in welchem Fach auch immer, in einer komple-xer werdenden Welt Wege zur Entscheidungsfindung aufzuzeigen hat, dabei auf die Ungewißheit aller Entscheidungen und trotzdem auf die Notwendigkeit zum Entscheiden hinzuweisen hat, auch wenn nicht alle Details gekannt sind und das Bekannte nicht in jedem Falle der sorgfältigen Prüfung zu unterziehen ist. Selbst der utopische umgekehrte Fall, über alle für ein Planen und Entscheiden notwendi-gen Details zu verfügen, entspricht einem Wissen, das die Tragweite der getroffe- 1 Baecker, Dirk: Postheroisches Management. Berlin 1994, S. 114 2 Ebd. S. 112f. 3 Vgl. Winograd, Terry/Flores, Fernando: Erkenntnis Maschinen Verstehen, a.a.O., S. 233-296 4 Steffens, Heiko: Informationstechnische Grundbildung: Kreative Flexibilität. In: Bun-deszentrale für politische Bildung (Hg.): Computer in der Schule, a.a.O., S. 94, S. 95.