VON DER IN PRAXIS GEWANDTEN 370 MEDIENTHEORIE Entscheiden nötigt. Norbert Bolz bringt dies schließlich auf die Formel: „Fast könnte man [...] sagen: Wichtiger als was entschieden wird, ist, daß schnell ent-schieden wird.“1 Wo unaufhörlich Entscheidungen abverlangt sind, Faktenwissen nur noch im Bereich des Mikroskopischen denkbar ist, der makroskopische Bereich dabei aus den Augen verloren und nicht mehr erfaßbar ist, muß Schule darauf ausgerichtet sein, zu lehren, Wissen zu verknüpfen, ohne auf Umfassendheit abzuheben. Zuletzt wird dabei deutlich werden, daß auch im bisherigen Bildungssystem sich in allem Gelernten für SchülerInnen eher ein Meinungswissen offenbart, da das Unterbreitete, ohne in allen Einzelheiten geprüft werden zu können, aufgrund einer nur ansatzweise begründeten und deshalb vom Charakter her eher plausiblen Dar-stellung einfach geglaubt werden muß. Meinungswissen im Sinne von Mittelstraß will verstanden sein als ein Wissen, das nur graduell in seiner Entwicklung nach-vollzogen werden kann. „Von Meinungen wird erwartet, daß sie plausibel sind, nicht daß sie begründet sind.“2 Es ist eine „subjektive Orientierungsweise“, wie Jürgen Mittelstraß sagt. Wissen in Schule wie allerorten gründet also auf plausibel gemachten Meinungen, welche für die SchülerInnen nicht zur Gänze hinterfragbar sind. Ein nicht vollständig ergründbares Meinungswissen ist die einzig denkbare Möglichkeit, in einer überkomplexen Gesellschaft sich zu orientieren, und Pädago-gInnen werden, indem sie Komplexität für Schüler unter Verzicht auf umfassendes Wissen bewältigbar machen, sich auf einmal bewußt, daß auch das bislang Vermit-telte seinem Charakter nach reines Meinungswissen war und durchaus nicht so um-fassend begründet wie geglaubt. Das gesellschaftlich relevante Wissen wandert aus aus den Gedächtnissen der Menschen in die Gedächtnisse der Maschinen, welche damit zu prozessieren und Wissen neu zu verknüpfen beginnen. Insgesamt kommt es heutzutage also viel-mehr auf das Prozessieren der in künstlichen Gedächtnissen gelagerten Wissens-fragmente an, als darauf, umfangreiches Wissen sich selbst einzuverleiben. Damit wird keinem Verzicht auf Schulung des Geistes geredet, sondern nur versucht, auf eine andere, dazu parallel verlaufende, notwendige Schulung hinzuweisen, die von den medialen Gegebenheiten abverlangt wird. Ziel eines solchen Unterrichtes wäre es, Heranwachsenden Orientierungshilfen in einer medialen Wirklichkeit zu lie-fern. Verknüpfen heißt dabei, Wissensstände durch Manipulation der Wissensar-chive mitzugestalten und zur Weiterverknüpfung anderen darzubieten. Es wäre ein Wissensmanagement zu lehren. Mit einer solchermaßen vermittelten Kompetenz wäre ein weiterer Mosaikstein zu einer digitalen Alphabetisierung angefügt und einem „informationstechnischen Analphabetismus“,3 wie Klaus Haefner schreibt, entgegengewirkt. Zu wissen, wo 1 Bolz, Norbert: Das kontrollierte Chaos, a.a.O., S. 107 2 Mittelstraß, Jürgen: Computer und die Zukunft des Denkens, a.a.O., S. 10 3 Haefner, Klaus: Neue Technologien und ihre Auswirkungen auf das Bildungs- und Beschäftigungssystem. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Computer in der Schule, a.a.O., S. 24. Haefner spricht im folgenden weiter von einem „Informati-