SCHLUßWORT 379 lauf des Digitalen das Nicht-Erinnerbare, Redundante zum Informativen zu wan-deln. Die Musik geht nichtsdestotrotz weiter den Weg des Digitalen: Digitale Auf-zeichnung, digitale Effekte, digitale Abmischung, digitales Mastering, zuletzt der digitale Tonträger. Nur am Anfang und Ende dieser Kette steht noch das Analoge: das aufgezeichnete wie wiedergegebene Musiksignal. Gleichwohl zeigen Entwick-lungen, daß auch der Anfang zum Digitalen strebt, indem Instrumente, mit digita-len Summenausgängen bestückt, direkt distinkte Ziffernfolgen ins diskrete Archiv schreiben, was dann einzig am Ort seiner Bestimmung - für das menschliche Sen-sorium - seine analoge Wandlung erfährt. Dort zumindest findet die Digitalität ihr Ende, da das Digitale nur als Analoges seinen Weg zum Ohr findet und dort als Körperereignis statthat. Die direkte Kopplung diskreter Maschinen an das Gehirn ließe den reinen digitalen Datenfluß möglich werden. Ein fiktives Szenario, das al-lerdings bedacht sein will und wird, um zuletzt die Fiktion ins Konkrete zu wen-den. Gelingt diese Wendung eines Tages, würde Datenfluß - nunmehr störungslos geworden - an die Stelle der Musik gesetzt sein und im Effekt seine Erfüllung fin-den. Diese letzte Schnittstellenkopplung zwischen Mensch und Maschine führt zur Erweiterung des Sensoriums sowie zur Komplettierung des Menschen als Prothe-sengott. Menschliche Schnittstellen prozessieren die von außen aufgenommenen Reize digital. Der Rest ist Interpretation des Gehirns. Gelingt der Anschluß des menschlichen Sensoriums vorbehaltlos an die elektronischen Netzwerke, so ist damit gegeben ein Kurzschluß - eine Entäußerung - der Sinne, der den Menschen in der Lesart Baudrillards als orbitalen Satelliten sieht. Diese Globalisierung des Selbst vollzieht sich in den Mediennetzwerken, was Telekommunikation der Jetzt-zeit schon weitgehend bestätigt. Rekursiv verlaufende Prozesse in Computernetzen lassen Linearität nur noch mit dem Präfix „De-“ denken. Das Medium Computer verlangt de-lineares Arbei-ten ab, was an Bedienungskonzepten von Musikprogrammen abzulesen ist, welche allein durch ihre optische Gestaltung schon zum Zerlegen auffordern und dabei Abschied nehmen lassen von einer Musik, die einer klaren Entwicklung, einem li-nearen Gedankengang folgt. Wo eine Musik keinen definitiven Anfang und kein Ende mehr kennt, wo alles Erklingende nicht mehr zwangsläufig auf ein analoges Schallereignis verweist und alles Komputieren im Jetzt geschieht, beginnen Be-grifflichkeiten wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unscharf zu werden, denn alles verdichtet sich im Gegenwärtigen. Die Musik ist nunmehr ohne Geschichte. Die Relativität allen digitalen Seins, die ein Denken in Alternativen abverlangt und die prognostizierte Verdichtung in der Gegenwart zur Folge hat, ist gleichsam Ergebnis der Tatsache, daß im Digita-len alles spurenlos verfügt wird. Es gibt keinen materiellen Rest mehr. Das Ver-