6Kulturtraditionen,MusikundGeschlechtBeiderAnalysedesDatenmaterialszurmusikalischenSozialisationvonMusik-Lehramtsstudierenden(vgl.TeilII)kristallisiertesichheraus,dasseineweiteretheoretischePerspektiveimZusammenhangmitGeschlechterdifferenzenDeutungs-möglichkeitenliefernkann.EszeigtensichZusammenhängeundRegelmäßigkeitenimDatenmaterial,diesicherklärenlassen,wennmandieExistenzunterschiedlicherKulturtraditionenberücksichtigtundihnenalsTeilendesMakrosystemseineStruk-turgebendeFunktionzuspricht.IchwerdedeshalbdieEigenartendieserTraditionensowieihregeschlechtstypischenAspekteandieserStelledarstellen.GeschlechtstypischeZuschreibungenundRollenvorstellungensindkulturabhängig.DementsprechendstehendieUnterschiedeindermusikalischenSozialisationvonJungenundMädchenmitkulturellenTraditioneninVerbindung.ImwestlichenKul-turkreissindm.E.zweiGrundströmungenbesondersbedeutsamimZusammenhangmitMusik:Dieeuropäische,schriftorientierteTraditionunddieauraleTraditionafroamerikanischerPrägung.BeidesindinunsererGesellschaftgegenwärtigundbietenKindernundJugendlichenunterschiedlicheMöglichkeitendermusikalischenOrientierungundEntwicklung.EineAnalyseihrerjeweiligenEigenartenkanndaherdazubeitragen,musikalischeLern-undSozialisationsprozessebesserzuverstehen.6.1AuralesundschriftorientiertesLernenFürdieEuropäischeKunstmusikistdieschriftlicheFixierunggrundlegend.1DieNotenschriftprägteimLaufederJahrhundertesowohldieMusikselbstalsauchdieUmgangsweisenundBewertungen.»NotationalsnichtgedächtnismäßigeundkörperfremdeSpeicherungvonMusik[...]implizierteineFüllevonmusikalischenKonsequenzen,diefürdieabendländische,schriftgeprägteMusikkulturcharakteris-tischgewordensind.Dazugehörenderreflexive,kritischeundanalytischeUmgangmitMusik[...]derOriginalitäts-undGeniegedanke[...]dieTrennungzwischenProduktionundReproduktion[...]dieKluftzwischenKunstmusikundpopulärerMusik«(Eichhorn2005,161).DurchdieüblicheTrennungzwischenKomponierendenundAusführendenhatsicheineMusikentwickelt,diesichdieMöglichkeitenderNotationzunutzemacht:DielangenFormenundkomplexenStimmverläufesowievorabfestgelegteWerkefürorchestraleBesetzungenwärenohneNotenschriftkaumindieserFormzurealisieren.DiesverlangteinvornehmlichschriftorientiertesLernen.1AuchinderKunstmusiktraditiongibtesSpurenschriftfreierPraxis(Kadenzen,Verzierungs-praxisu.ä.),derSchwerpunktliegtjedochklaraufderschriftbezogenenTradierung.SeitdemMittelaltersetztesich(zunächstinderKirchenmusik)dieVerwendungderNotenschriftzuneh-menddurch.OralePraktikenhattenimeuropäischenRaumjedochauchinderVolkskulturweiterhinBestand.SieverlorenimLaufederJahrhunderteallerdingsvielerortsanBedeutung.Lug(2002,4f.)siehtdieseTraditionenerstdurchdenEinflussderafroamerikanischenKulturwiederreaktiviert.