- 16 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (15)Nächste Seite (17) Letzte Seite (248)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Eine Zeitlang waren an unserem Geschütz Steirer Burschen. Wenn auch nur irgendeine Möglichkeit bestand, gingen sie abends auf eine Anhöhe, um zu jodeln - es war ihnen ein Lebensbedürfnis. In diesem Jodeln klang die Heiterkeit und Gelöstheit, die der Städter als Sommerfrischenatmosphäre empfindet. In dem Wohlklang der Stimmen schwang zugleich die Weite und die innere Freiheit, wie sie die Jodelweisen auslösen. Dieses Jodeln gehörte zum Leben der Steirer Burschen.

Eine dritte Situation führt in die dunkle Atmosphäre einer Flüchtlingsbaracke im Jahre 1945. In einem Raum lagern 27 Personen, Frauen, Kinder und einige Männer. Was wird in dieser Nacht passieren? Die Unberechenbarkeit der fremden Soldaten lastet auf den Menschen, Angst und Schrecken ist in ihnen und peinigend ist das Bangen um die nächsten Stunden. Da beginnt eine Stimme zu singen und eine zweite fällt ein und Angst und Not werden für eine Zeit gebannt. - Nur wer ähnliche Bedrängnisse mitgemacht hat, kann die Mächtigkeit ermessen, die diesem Singen innewohnte.

Wie schon oben gesagt, möchten diese Ausführungen nicht der schönen Ergebnisse gedenken, wie sie sich im Kreise Gleichgesinnter im Umgang mit dem Lied zeigen, und der "Elfenbeinturm" hochentwickelter Singkreiskultur - so sehr auch unsere ganze Liebe ihm zeitweise gehört - soll nicht besonders interessieren. - Nach den Beispielen, die persönliche Lebensäußerung im Lied darzustellen versuchten, folgen einige Begebnisse, wie sie sich bei den pädagogischen Versuchen musikalischer Durchdringung von Lebenswirklichkeiten zugetragen haben. Jedes Begebnis wirft Fragen auf, die zum Nachdenken anregen möchten.

Eine Gruppe junger Männer ist versammelt, ein Singleiter ist bestellt und wird mit den Worten eingeführt: Was wir singen ist Mist, wie wir singen ist Mist, heute wollen wir lernen, wie es sein soll, und wer keine Lust hat, halte wenigstens sein Maul. (Siehe Shakespeare: Kommt und singt, und wer nicht mag, halte sein Maul!) Nun, der Singleiter kämpft hart und liegt in dem Ringen "Brust an Brust" mit der Menge. Er besteht, weil es auch Lärm sein darf, die Männer sich in dem Singen "fühlen" dürfen und ein Anspruch auf Vergeistigung nicht gestellt wird.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (15)Nächste Seite (17) Letzte Seite (248)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 16 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten