- 10 -Wollermann, Tobias: Musik und Medium 
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Der Mensch, der eigentlich in einer analogen Welt lebt, erzeugt Digitalität3

3U. a. auch verwendet bei [Fricke(1998), S. 19] und [Bolz(1994), S. 11].
zur Gewinnung von Erkenntnis und Kultur. So kann die Entwicklung der Schriftsprache, die Festlegung einzelner Schriftzeichen für gesprochene Laute, aus der sich später die Buchstaben entwickelten, als Digitalisierung aufgefasst werden. Genauso lässt sich dieses Beispiel auch auf die Musik übertragen. Mit dem Beginn der Notation hat der Mensch versucht, die analoge Form der Musik zu digitalisieren. Bei der Neumenschrift dienten die verschiedenen Zeichen noch in abstrakter Form der Erinnerung, besaßen allerdings schon erste Anzeichen von Begrifflichkeit. Mit dem Übergang von den Neumen zur Mensural-Notation entwickelte sich die Notenschrift vom anschaulich Dargestellten zum begrifflich Festgelegten. Es haben sich zwei Normierungen herausgebildet: die der Tonlänge und die der Tonstufen. Nicht nur die Noten als solche, auch Vortragsbezeichnungen wie z. B. laut oder leise sind im Prinzip Kontinua der analogen Seite, die durch die entsprechende Darstellung durch Werte, Höhen, Zeichen wie z. B. pp, ff etc. in den digitalen Bereich transformiert wurden. Verallgemeinernd lässt sich feststellen, dass den kontinuierlichen Vorgängen auf der einen Seite Normierungen bzw. diskrete Zustände auf der anderen Seite gegenüberstehen. Dazu Fricke:4
4[Fricke(1998), S. 26].
»In der überlieferten Notenschrift aber finden wir die totale Digitalisierung des analogen Kontinuums vor. Es gibt nur ein Entweder – oder für dies oder das. Sie hat den Vorzug der 100%igen Kommunikation; denn es gibt eine kategorielle Unterscheidung von Vierteln, Achteln und Halben und Vereinbarungen über ihre Beziehungen untereinander.
Auch die Notierung der Tonhöhe hat viel von ihrer Analogie verloren. Die Anschaulichkeit von Auf und Ab ist rudimentär. Im Grunde ist der Zeichencharakter arbiträr: wo die Halbtöne liegen, bestimmt allein die Lage im Liniensystem und die Beziehung zum Schlüssel. Kategoriale Unterscheidung des ehemals analogen Kontinuums der Tonhöhe zeigt schon die Benennung. Die hieraus folgende digitale Informationsübertragung für den Leser garantiert auch hier eine sichere Kommunikation.«

Zudem ist jede Art von Normierungsprozess in gewisser Weise eine Digitalisierung. Auch die ersten Versuche im 18. Jahrhundert Wissen in Enzyklopädien zusammenzufassen, können als Digitalisierung des Wissens betrachtet werden.5

5Vgl. dazu Kapitel 2.3.
Selbst das menschliche Denken erfolgt digital und steht somit in direkter Analogie zur digitalen Welt der Computer. Vom Prinzip her ist die ganze Welt durch ihre atomare Struktur digital aufgebaut.

Auch auf technischer Ebene hat man sich die Digitalisierung schon lange vor dem 20. Jahrhundert beispielsweise beim Drucken zu nutzen gemacht. Das unter der Bezeichnung ›Rastern‹ in der Drucktechnik verwendete Verfahren6

6Vgl. dazu Kapitel 4.3.
ist auch eine Form der Digitalisierung. Paradox erscheint zunächst die Tatsache, dass eine zur Perfektion getriebene Digitalisierung wieder in den analogen Bereich führt. Das Prinzip des Rasterdrucks basiert schließlich genau auf dieser Überlegung: Die einzelnen Pixel eines Bildes werden so dicht nebeneinander gesetzt, dass man sie

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