Der Mensch, der eigentlich in einer analogen Welt lebt, erzeugt
Digitalität3
zur Gewinnung von Erkenntnis und Kultur. So kann die Entwicklung der Schriftsprache,
die Festlegung einzelner Schriftzeichen für gesprochene Laute, aus der sich später die
Buchstaben entwickelten, als Digitalisierung aufgefasst werden. Genauso lässt sich dieses
Beispiel auch auf die Musik übertragen. Mit dem Beginn der Notation hat der Mensch
versucht, die analoge Form der Musik zu digitalisieren. Bei der Neumenschrift dienten
die verschiedenen Zeichen noch in abstrakter Form der Erinnerung, besaßen allerdings
schon erste Anzeichen von Begrifflichkeit. Mit dem Übergang von den Neumen zur
Mensural-Notation entwickelte sich die Notenschrift vom anschaulich Dargestellten
zum begrifflich Festgelegten. Es haben sich zwei Normierungen herausgebildet:
die der Tonlänge und die der Tonstufen. Nicht nur die Noten als solche, auch
Vortragsbezeichnungen wie z. B. laut oder leise sind im Prinzip Kontinua der analogen
Seite, die durch die entsprechende Darstellung durch Werte, Höhen, Zeichen wie z. B.
pp, ff etc. in den digitalen Bereich transformiert wurden. Verallgemeinernd
lässt sich feststellen, dass den kontinuierlichen Vorgängen auf der einen Seite
Normierungen bzw. diskrete Zustände auf der anderen Seite gegenüberstehen. Dazu
Fricke:4
»In der überlieferten Notenschrift aber finden wir die totale Digitalisierung
des analogen Kontinuums vor. Es gibt nur ein Entweder – oder für dies
oder das. Sie hat den Vorzug der 100%igen Kommunikation; denn es gibt
eine kategorielle Unterscheidung von Vierteln, Achteln und Halben und
Vereinbarungen über ihre Beziehungen untereinander.
Auch die Notierung der Tonhöhe hat viel von ihrer Analogie verloren.
Die Anschaulichkeit von Auf und Ab ist rudimentär. Im Grunde ist
der Zeichencharakter arbiträr: wo die Halbtöne liegen, bestimmt allein
die Lage im Liniensystem und die Beziehung zum Schlüssel. Kategoriale
Unterscheidung des ehemals analogen Kontinuums der Tonhöhe zeigt schon
die Benennung. Die hieraus folgende digitale Informationsübertragung für
den Leser garantiert auch hier eine sichere Kommunikation.«
Zudem ist jede Art von Normierungsprozess in gewisser Weise eine Digitalisierung.
Auch die ersten Versuche im 18. Jahrhundert Wissen in Enzyklopädien
zusammenzufassen, können als Digitalisierung des Wissens betrachtet
werden.5
Selbst das menschliche Denken erfolgt digital und steht somit in direkter Analogie zur
digitalen Welt der Computer. Vom Prinzip her ist die ganze Welt durch ihre atomare
Struktur digital aufgebaut.
Auch auf technischer Ebene hat man sich die Digitalisierung schon lange
vor dem 20. Jahrhundert beispielsweise beim Drucken zu nutzen gemacht.
Das unter der Bezeichnung ›Rastern‹ in der Drucktechnik verwendete
Verfahren6
ist auch eine Form der Digitalisierung. Paradox erscheint zunächst die Tatsache, dass
eine zur Perfektion getriebene Digitalisierung wieder in den analogen Bereich führt. Das
Prinzip des Rasterdrucks basiert schließlich genau auf dieser Überlegung: Die einzelnen
Pixel eines Bildes werden so dicht nebeneinander gesetzt, dass man sie |