- 106 -Wollermann, Tobias: Musik und Medium 
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aus Nullen und Einsen bestehend, hinter den Gedanken. Vielmehr ging es um das Empfinden, durch das eine Vermittlung bzw. Transformation möglich wurde.

Wassilij Kandinsky widmete sich schließlich Untersuchungen eines russischen Mathematikers, der die zwei Stücke der oben erwähnten ›Années de pèlerinage‹ von Franz Liszt – das erste (I. Sposalizio) angeregt durch ein Gemälde von Raffael und das zweite (II. Il penseroso) durch eine Plastik Michelangelos – auf gleiche zahlenmäßig fassbare Formeln zurückführt. Dabei ging Kandinsky davon aus, dass »wir in diesen beiden Fällen [die beiden Stücke] die beiden Arten von Rechnen vor uns haben, wenn man annehmen kann, daß die beiden Werke der bildenden Kunst direkt errechnet waren: Das heißt mit Hilfe einer mathematischen Methode, so ist es anderseits außer Zweifel, daß Liszt die beiden Formeln erraten hat – aus dem Unterbewußten.«3

3[Kandinsky(1955), S. 241].

Bei Kandinsky kann man also erstmals von einer Art Hypermedia sprechen, denn er geht davon aus, dass hinter den verschiedenen medialen Ausformungen von Kunstwerken eine gleiche Struktur steht. Im Prinzip impliziert dieser Gedanke schon den der ›abstrakten Kunst‹. Helga de La Motte schreibt hierzu: »Bei solchen Übersetzungen4

4Dieser Begriff stammt von Kandinsky selbst. Er meint damit nicht nur eine vage erlebte gleiche Stimmung, sondern vielmehr eine berechenbare Strukturäquivalenz.
existieren die verschiedenen Versionen gleichberechtigt nebeneinander. Diese Gleichberechtigung macht deutlich, daß der Sinn einer Struktur eigentlich zwischen ihren materialiter je verschiedenen Erscheinungen zum Ausdruck kommt. Intermedial könnte man solche Kunst auch nennen.«5

Des Weiteren sind auch die ersten Versuche, Farbe, Licht und Ton zu parallelisieren, in die späten 30er bzw. frühen 40er zu datieren. So experimentierte z. B. Oskar Fischinger damit, aus grafischen Gestalten Töne zu gewinnen. Dabei zeichnete er Sägezähne und Ornamente auf die Tonspur eines Films und erzeugte so mit Hilfe einer analogen Übersetzung synthetische Töne. Helga de la Motte nennt Fischingers Experimente sogar »Vorformen des Videoclips […], die bis zum heutigen Tage unerreichbar in der künstlerischen Qualität sind.«6

Fischinger brach seine Versuche schnell ab, da sie ihm nicht den gewünschten Erfolg lieferten. Dieser blieb auch anderen Versuchen, so z. B. der »töneneden Handschrift« von Rudolf Pfenninger, verwehrt. Trotzdem griffen John und James Withney Fischingers Idee der synthetischen Klangerzeugung aus Bildern mit ihren ›Five Film Exercises‹7
7Diese zählen zu den originellsten audiovisuellen Manifestationen, da sie das verwirklichen, was erst Jahrzehnte später technisch möglich wurde.
1943 wieder auf. Später setzte John Withney für seine Arbeit die ersten Computer ein. Seine Filme ›Matrix I bis III‹8
8Nicht zu verwechseln mit dem sehr bekannten Matrix-Film aus dem Jahr 1999 (Regie: Andy und Larry Wachowski) mit Keanu Reeves in der Hauptrolle.
gelten als bedeutende Vorläufer der Computeranimation. Zu dem Film Matrix III, bei dem es sich um eine einfache Filmschleife9
9In dieser kreisen winzige, sich zu Dreiecken und Bändern verändernde Punkte, immer um die selbe Matrix.
handelt, deren Anfang und Ende identisch ist, hat Terry Riley eine ebenfalls auf Schleifen basierende Musik komponiert. Allerdings stammt sie, da die Computer noch nicht leistungsfähig genug waren, von Orchesterinstrumenten.


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