- 252 -Wollermann, Tobias: Musik und Medium 
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so rasant, dass wichtige Informationen auf Dauer gar nicht erhalten werden können.«

Die Erhaltung unserer digital gespeicherten Erinnerungen ist das drängendste Problem beim momentanen schnellen Wandel unserer Gesellschaft in eine digitale Welt. Nichts ist so unsicher wie die Zukunft der digitalen Speicherung. In zehn, maximal zwanzig Jahren kommt wahrscheinlich das nächste komplett neue Computersystem auf den Markt.29

29Als warnendes Beispiel sei hier der Atari oder der C64 erwähnt. Heute, zwanzig Jahre nach dem damaligen Verkaufsboom, sind diese Systeme vollkommen veraltet und es ist nahezu unmöglich, damit zu arbeiten, geschweige denn Ersatzteile zu finden.
Es stellt sich die Frage, ob eine digitale Speicherung für eine ferne Zukunft überhaupt möglich ist. Eigentlich nicht, denn man ist immer auf die Software angewiesen, die die gespeicherten Informationen, Nullen und Einsen, in für den Menschen lesbare Informationen übersetzt. Sobald ein neuer Rechner mit neuer Software gekauft wird, sind diese Informationen entweder verloren oder sie müssen erst vollständig umkopiert werden.

Vor 10 Jahren galt die CD als Hoffnungsträger einer digitalen Zukunft, doch das Speichermedium ist anfälliger als erwartet. Dass UV-Strahlen eine CD beschädigen, war von Anfang an bekannt, nicht aber, dass CDs auch zu Genussmitteln gehören. In Madrid musste man im staatlichen Naturkundemuseum feststellen, dass die Kunststoffschicht von CDs zur Lieblingsspeise ordinärer Schimmelpilze zählt.30

30Vgl. dazu auch BBC News Online vom 22. Juni 2001. Im Internet abrufbar unter http://news.bbc.co.uk/1/low/sci/tech/1402533.stm (Link vom 17.03.2005).
Der Wissenschaftler und Geologe Javier Garcia Guinea besitzt eine einzigartige Sammlung von angefressenen Musik-Cds. Die Sporen des Schimmelpilzes ›Fungus Geotrichum‹ sind weltweit verbreitet. Mit polarisiertem Licht kann man die Fraßspuren der Schimmelpilze, die auch in fast jeder Küche auf Brot oder auf Joghurt vorkommen, gut sichtbar machen. Die angefressenen CDs sind zwar eine seltsame Besonderheit, sie zeigen aber, dass man sich nicht einfach darauf verlassen kann, im digitalen Datenstrom mitzuschwimmen und technische Entwicklungen ungefragt zu übernehmen. Jedes säurefreie Buch hält weitaus länger als eine CD. Zudem ist der CD-Standard nach rund fünfzehn Jahren veraltet und es ist zweifelhaft, ob dann eine CD überhaupt noch zu lesen ist. Ein Buch hingegen kann in zweihundert Jahren noch geöffnet werden.

Bereits 1995 warnte der angesehene Computerspezialist Jeff Rothenburg erstmals vor dieser Entwicklung:31

31Jeff Rothenburg, zit. nach der Dokumentation Hilfe, wir verschwinden! Das digitale Desaster (Regie: Jörg Daniel Hissen und Peter Moers; NDR 2003).

»Ich glaube, jeder weiß, dass Information schon immer eine sehr vergängliche Sache war. Doch jetzt, im digitalen Zeitalter, glauben viele, dass digitales Speichern in Einsen und Nullen gleichbedeutend mit unbegrenzter Haltbarkeit ist. Unglücklicherweise ist es so, dass digitale gespeicherte Daten weitaus schneller vergänglich sind als traditionelle Überlieferungsformen. Wir müssen sehen, dass uns da nicht alles verloren geht.[…]
Viele Menschen glauben, dass durch das ständiges Weiterkopieren alles für immer erhalten bleibt. Natürlich bleiben die kopierten Bits gleich, aber wir werden nicht unbedingt wissen, was sie bedeuten. Genauso wie Hieroglyphen


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