epOs-Verlag

 
 

Schmidt, Patrick L.

Interne Repräsentation musikalischer Strukturen

Zur Bedeutung motorischer Prozesse im Stimmapparat bei musikalischen Klangvorstellungen

 
epOs-Music, 203 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Tabellen, Personenverzeichnis, Stichwortverzeichnis
 
Band 6 in der "Reihe Osnabrücker Beiträge zur Musik und Musikerziehung", hrsg. von B. Müßgens und M. Gieseking
 
Osnabrück 2008
ISBN 978-3-923486-15-1 (Buch)
ISBN 978-3-923486-16-8 (CD-ROM)

Printausgabe
11.90 €

CD-ROM
9,90 €


 
Umfangreiche Rezension von Klaus Frieler, in: Musikpsychologie - Offenohrigkeit,
Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie Bd. 24, 2014,S. 254-257

(...)
Im Besonderen interessiert sich der Autor für die Bedeutung motorischer Prozesse im
Stimmapparat bei musikalischen Klangvorstellungen
- so der Untertitel des Buches.
Die Fragestellung ist spannend, denn seit längerem gibt es empirische Belege für Aktivitäten
des Kehlkopfes bei musikalischen und sprachlichen Vorstellungs und Wahrnehmungsvorgängen.
Allerdings sind diese Hinweise und deren Deutung, wie der Autor in einem ausführlichen und
gut recherchierten Literaturüberblick darlegt, nicht immer eindeutig.
(...)




Singen wir beim Hören und Vorstellen von Musik innerlich mit?

Interview mit Patrick L. Schmidt

Was verstehen Sie unter musikalischer Klangvorstellung?

Ich verstehe darunter unsere »geistige« Fähigkeit, sich Musik auch in Abwesenheit einer
Klangquelle klingend ins Gedächtnis zu rufen. Musikalische Klangvorstellung ist vonnöten,
wenn wir bestimmen, welches Musikinstrument wir gerade hören, wenn wir uns an Melodien
erinnern, beim Notenlesen, beim Komponieren, Arrangieren, beim Musikmachen aber auch beim
Hören von Musik, da wir sonst kaum von unerwarteten Wendungen, wie z. B. Trugschlüssen
überrascht werden könnten. Musikalische Vorstellungen
bilden also die Grundlage des musikalischen Gedächtnisses und des musikalischen Denkens.
Die Qualität der Klangvorstellungen kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen: manchmal eher
vage, manchmal sehr deutlich mit mehreren Stimmen und unterscheidbaren
Klangfarben.


Wie wird Musik intern repräsentiert?

Hinsichtlich des Zustandekommens, Abrufens oder Aufrechterhaltens generell von Vorstellungen
und speziell von musikalischen Klangvorstellungen ist wenig gesichert. Die Gedächtnisforschung
geht von der Existenz einer virtuellen Projektionsfläche aus: Visuelle und auditive Gedächtnisinhalte
erscheinen auf einer Art »geistigem« Monitor und werden dann von einem Wahrnehmungssystem in
gleicher Weise verarbeitet wie Gegebenheiten der Außenwelt. Häufig tauchen in der psychologischen
Literatur auch Begriffe wie »innere Stimme«, »inneres Ohr« oder »geistiges Auge« auf.
Über deren physiologische Entsprechung und ihre Funktionsweise ist nichts bekannt. Allgemein wird
das Gehirn als Entstehungs-, Verarbeitungs- und Speicherort höherer geistiger Funktionen angesehen.
Allerdings scheint die Stimme bei Gedächtnisprozessen eine besondere Rolle zu spielen, wie das Beispiel
der Wiederholung einer zu merkenden Telefonnummer veranschaulicht. Studien belegen, dass unter
anderem motorische, visuelle und auditive Hirnareale bei verschiedenen Vorstellungsaufgaben aktiviert
werden. Auch wurden bereits Augenbewegungen bei visuellen Vorstellungen, Nasenbewegungen bei
Geruchsvorstellungen oder – wie in meiner Arbeit – Kehlkopfbewegungen bei musikalischen
Klangvorstellungen nachgewiesen.


Wie kommen musikalische Vorstellungen zustande?

Möglicherweise kommt jede Vorstellung, Erinnerung und Wahrnehmung durch eine tatsächliche Reizung
von Sinnesrezeptoren zustande, die – durch Umweltreize in Gang gesetzt – eine interne Erregung weiterer
Sinnesorgane über das neuronale Netzwerk nach sich zieht. So gehen musikalische Klangvorstellungen
häufig auch mit visuellen Bildern, Gerüchen, Emotionen und Körperbewegungen einher oder können
durch diese ausgelöst werden. Wahrscheinlich werden bestimmte Charakteristika der Musik wie Tonhöhe,
Rhythmus oder bis zu einem gewissen Grad auch Klangfarbe motorisch enkodiert, da viele Musikstücke in
Verbindung mit Gesang bzw. körperlicher Bewegung erlebt werden.


Welche Rolle spielen Kehlkopfbewegungen für musikalische Gedächtnisleistungen?

Interessant ist, dass die Kehlkopfbewegungen in meiner Untersuchung umso stärker ausfielen, je besser
die Probanden in einem standardisierten Musikalitätstest abschnitten. Wahrscheinlich spielen motorische
Prozesse nicht nur im Verlauf der Erlernens bzw. Erfassens eines Wahrnehmungsinhaltes sowie der
allmählichen Ausprägung des Bewusstseins im Laufe des Lebens eine Rolle, sondern bei jedem
Kognitionsakt. So wären demnach Kehlkopfbewegungen eine von vielen physiologischen Sinnesinformationen,
aus denen sich alle Funktionen des »Geistes« zusammensetzen.


Welche Erkenntnisse lassen sich aus Ihrer Arbeit für die Musikpädagogik ableiten?

Die in meiner Arbeit empirisch bestätigte (oder besser gesagt nicht falsifizierte) Beziehung zwischen
Kehlkopfbewegungen und der Güte musikalischer Klangvorstellungen darf nicht mit einer bestätigten
Kausalbeziehung im Sinne einer eindeutigen Ursache-Wirkungs-Sequenz verwechselt werden. Mit statistischen
Mitteln ist weder zu klären, ob stärkere Kehlkopfaktivitäten zu einer besseren musikalischen Klangvorstellung
führen, noch ob eine gute Klangvorstellungsfähigkeit ursächlich für stärkere Kehlkopfbewegungen
verantwortlich ist. Aus den Ergebnissen der statistischen Auswertung lassen sich also streng genommen keine
musikpädagogischen Konsequenzen ableiten. Geht man jedoch von der Richtigkeit der oben beschriebenen
Theorie der Repräsentation musikalischer Strukturen aus, so sollte noch mehr Wert auf eine körperliche
Erfassung von Musik durch Singen, Tanzen und rhythmischen Bewegungen gelegt werden, da auf diese Weise
musikalische Inhalte (wie z.B. musikalische Spannungsverläufe, Tonintervalle, Zeit- und Rhythmusgefühl,
ästhetischer und emotionaler Ausdruck) ohne Theorie und lange Erklärungen vermittelt werden können.
 

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