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- 3 - Donna Leon: Venezianisches Finale


»Ich verstehe nicht ganz?«

»Wenn Sie die Premiere besprochen hätten, die Vorstellung, die Wellauer bis zur zweiten Pause dirigiert hat, was hätten Sie darüber gesagt?«

»Über die Vorstellung als Ganzes oder über den Maestro?«

»Beides.«

Es war klar, daß die Frage den Professor verwirrte. »Ich weiß nicht recht, was ich darauf antworten soll. Der Tod des Maestro hat alles überflüssig gemacht.«

»Aber wenn Sie diese Kritik geschrieben hätten, was hätten Sie dann über ihn gesagt?«

Der Professor kippte seinen Stuhl nach hinten und faltete die Hände hinter dem Kopf, genau wie es Brunettis Professoren früher getan hatten. Er saß ein Weilchen so da und dachte über die Frage nach, dann ließ er den Stuhl wieder nach vorn auf den Boden schnellen. »Ich fürchte, die Besprechung wäre eine andere gewesen.«

»Inwiefern, Professor?«

»Was die Sänger angeht, wohl ziemlich gleich. Signora Petrelli ist immer wunderbar. Der Tenor hat gut gesungen, wie ich schon sagte, und wird mit zunehmender Bühnenerfahrung sicher noch besser werden. Bei der Premiere haben sie etwa genauso gesungen, aber das Ergebnis war anders.« Er sah Brunettis Verwirrung und versuchte zu erklären:

»Wissen Sie, ich muß da so viele Jahre aus radieren, in denen ich seine Arbeit verfolgt habe. Es war nicht leicht, an dem Abend zuzuhören, ohne daß die vielen Jahre genialen Künstlertums sich zwischen das drängten, was ich da hörte.

Lassen Sie es mich so erklären: Während einer Vorstellung hält der Dirigent die Dinge zusammen, er achtet darauf, daß die Sänger sich an die richtigen Tempi halten, daß sie vom

Orchester unterstützt werden, daß die Einsätze stimmen, daß keiner dem anderen davonrennt. Er muß auch darauf achten, daß sein Orchester nicht zu laut wird, daß die Crescendi sich aufbauen und dramatisch sind, gleichzeitig aber die Sänger nicht übertönen. Wenn der Dirigent so etwas hört, kann er die Musiker mit einer Handbewegung zurückpfeifen, oder indem er den Finger an den Mund legt.« Zur Illustration demonstrierte er die Gesten, die Brunetti in vielen Konzerten oder Opern beobachtet hatte.

»Und er muß in jeder Sekunde alles im Griff haben: den Chor, die Sänger, das Orchester, und sie in perfektem Gleichgewicht halten. Tut er das nicht, fällt die ganze Geschichte auseinander, und man hört nur noch Einzelteile, aber nicht die Oper als Ganzes.«

»Und in der Nacht, in der Wellauer starb?«

»Die zentrale Kontrolle war nicht da. Manchmal wurde das Orchester so laut, daß ich die Sänger nicht hören konnte, und ich bin sicher, sie hatten Probleme, sich gegenseitig zu hören. Dann wieder spielte das Orchester zu schnell, und die Sänger hatten Mühe mitzukommen. Oder umgekehrt. «

»Hat das außer Ihnen noch jemand im Theater gemerkt, Professor?«

Rezzonico hob die Brauen und schnaubte verächtlich. »Commissario, ich weiß nicht, wie gut Sie das venezianische Publikum kennen, aber das größte Kompliment, das man ihm machen kann, lautet: Es ist eine Horde von Affen. Sie gehen nicht ins Theater, um Musik zu hören,


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