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- 9 - Arthur Rubinstein: Erinnerungen - Die frühen Jahre


Parteigänger ein ausgezeichnetes Essen, und André schien in meinem Interesse sehr tätig gewesen. Er eröffnete mir, Alexander Siloti, einer der letzten Schüler Liszts, wolle mich als Solist für zwei seiner allseits beliebten Symphoniekonzerte nach St. Petersburg engagieren.

»Ich habe ihm nichts versprochen«, sagte Diederichs, »ich wünsche mir ja etwas Einträglicheres für Sie, aber abgesagt habe ich auch nicht.«

Wir saßen die halbe Nacht herum, tranken, schwatzten. Ich mußte den bedauernswerten, hart arbeitenden Stefan Grostern früh um drei aus dem Bett klingeln, dann schlief ich bis Mittag durch. André holte mich um eins zu sakuska (einem reichhaltigen russischen Hors d'oeuvre) ab, dann eilten wir ins Konservatorium. Mein Erscheinen in dem vollbesetzten Saal wurde mit Jubel begrüßt - das erwärmte mein Herz. Jetzt war es zwei Uhr, doch geschah nichts. Nach einer Stunde geduldigen Wartens gingen wir ans Buffet und tranken Kaffee. Ein Saaldiener versprach, Bescheid zu sagen, falls sich etwas ereigne. Noch eine Stunde verging, Kaffee gab es keinen mehr, immer noch nichts. Wir kehrten in den Saal zurück, und um fünf endlich erschienen Glasunow und die Juroren. Man empfing sie mit absolutem Schweigen.

Glasunow trat blaß und schwitzend nach vorne und verkündete mit zittriger Stimme. »Der Preis für Komposition in Höhe von 2000 Rubel wird einstimmig zuerkannt Herrn Emil Frey.«

Ovation. Frey stieg auf die Bühne, nahm die Glückwünsche der Jury und den Applaus des Publikums entgegen.

Nun fuhr Glasunow fort: »Der Preis für Klavier in Höhe von 2000 Rubel wird einstimmig zuerkannt Herrn Alfred Hoehn.«

Ein Moment verblüffter Stille, dann Beifall, untermischt mit Buhrufen. Glasunow versuchte vergeblich, sich mit erhobenem Arm Gehör zu verschaffen. Es dauerte eine Weile, bis er sprechen konnte. Laut, fast schreiend, verkündete er: »Ein besonderer erster Preis, eine lobende Erwähnung wird einstimmig zuerkannt Herrn Arthur Rubinstein, und«, hier redete er ohne Unterbrechung weiter, »ein besonderer zweiter Preis, ebenfalls eine lobende Erwähnung, wird zuerkannt Herrn Alexander Borowski.« Und er forderte uns auf - Hoehn, Borowski und mich - heraufzukommen, um die Glückwünsche der Jury entgegenzunehmen.

Dieses raffinierte Manöver verwirrte die Anwesenden. Das Publikum begriff langsam, daß ich mich mit Hoehn in den ersten Preis teilte, er aber die gesamte Summe erhielt. Man billigte diese Lösung nicht, doch wirkte sie besänftigend. André schrie als einziger Aufrührer »Schande! Schande!« Was mich angeht, so bewegte mich ein wirres Gemisch von Gedanken und Empfindungen, über das ich mir klarzuwerden versuchte. Ich konnte nicht bestreiten, daß ich nach dem allgemeinen Jubel mit dem ersten Preis gerechnet hatte und daß darum dieser Spruch für mich eine bittere Enttäuschung war. In meinem innersten Herzen allerdings weiß ich, daß Hoehns Vortrag der »Hammerklaviersonate« - ein viel bedeutenderes Stück als meine kleine e-Moll-Sonate - und Freys glänzendes Spiel meine Siegessicherheit stark beeinträchtigt hatten.

André Diederichs und ich verzehrten eine der trübsten Mahlzeiten meines Lebens. Die russische Sprache ist reich an Invektiven, und während des Essens bewies mein Freund seine umfassende Kenntnis dieser Sparte. Unter anderem behauptete er, die Zarin habe die Entscheidung befohlen, »und das Schwein hat pariert!«


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