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- 7 - aus: Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin


Es ist genau die Geste, die Erikas Mutter nach deren verpatztem Konzert der Tochter an den Schädel schmetterte. Die beiden Schüler haben schon durch Schwätzen die Einleitung des Gastgebers gestört. Noch einmal werden sie nicht gewarnt. In der vordersten Reihe, neben der Frau des Gastgebers, sitzt Erikas Mutter in einem bereitgestellten Sonderfauteuil und weidet, als einzige, eine Bonbonsdose und sich selbst an der einmaligen Beachtung, die ihre Tochter genießt. Das Licht wird gewaltsam abgedämpft, indem man ein Kissen gegen die Klavierlampe lehnt, das unter den Peitschenschlägen des verschlungen zu Mustern gehäkelten Kontrapunktgewebes erzittert. Das Kissen hüllt die Spieler in dämonisch roten Schein ein. Ernst rauscht der Bach. Die Schüler tragen Sonntagskleidung oder was ihre Eltern dafür halten. Die Eltern pferchen das, was sie einst geboren haben, in diesen polnischen Hausflur hinein, damit sie vor den Kindern Ruhe haben und die Kinder lernen, Ruhe zu geben. Der Hausflur der Polen ist mit einem riesigen Jugendstilspiegel geschmückt, darstellend ein nacktes Mädchen mit Seerosen, wo die kleinen Buben immer stehenbleiben. Später, oben in der Musikwohnung, sitzen die Kleinen vorne und die Großen hinten, weil sie über alles drübersehen. Die Älteren gehen den Gastgebern zur Hand, wenn ein jüngerer Kollege stillzulegen ist.

Walter Klemmer hat hier noch keinen Abend ausgelassen, seit er mit süßen Siebzehn ernsthaft, nicht nur zum Spaß, ein Klavier zu bearbeiten begann. Er läßt sich hier Inspirationen für sein eigenes Spiel in bar ausbezahlen.

Der Bach rieselt in den schnellen Satz hinein, und Klemmer mustert mit von selbst erwachendem Hunger den unter dem Sitzteil abgeschnittenen Leib seiner Klavierlehrerin von hinten. Mehr kann er von ihrer Figur zur Beurteilung nicht heranziehen. Vom Vorderteil seiner Lehrerin ist infolge einer fetten Kindsmutter, welche sich davor placiert hat, nichts auszunehmen. Sein Leibplatz ist heute besetzt. Im Unterricht sitzt sie stets neben ihm am zweiten Klavier. Neben der Mutterfregatte hockt deren winziges Rettungsboot von einem Anfängersohn, der eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und dazu eine rote weißgepunktete Fliege trägt. Das Kind hängt jetzt schon im Sitz wie ein Flugzeugpassagier, dem schlecht geworden ist und der nichts als die endliche Landung erwünscht. Erika schwebt mittels Kunst in höheren Luftkorridoren und beinahe durch den Äther davon. Walter Klemmer sieht sie ängstlich an, weil sie sich von ihm entfernt. Doch nicht nur er greift unwillkürlich nach ihr, auch die Mutter hascht nach dem Halteseil dieses Winddrachens Erika. Nur das Halteseil nicht loslassen! Schon reißt es auch die Mutter auf ihre Zehenspitzen empor. Der Wind heult laut, wie er in dieser Höhe immer heult.


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