- 117 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Treiben der Tiere – und der Sehnsucht nach eben diesem Einklang im Verlaufe der Stückhandlung deutlich. Insofern ist diese Musik zum »dramatischen Akteur gewordene ›couleur locale‹«,144
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vgl. Dahlhaus (1982), S. 134
sie ist nicht Hintergrundmalerei, sondern repräsentiert musikalisch etwas, das die Sehnsucht der handelnden Figuren meint und wird so zum Movens der ganzen Handlung. Damit diese ›organische‹ Musik nicht zu einem abstrakten Motivgewebe wird, braucht sie den auf der Bühne sichtbaren Wald. Dem einzelnen Motiv ist nicht anzumerken, dass es der Libelle oder dem Dachs zuzuschreiben ist, dem Motivgewebe nicht, dass es die Musik einer Welt ist, in der der Gegensatz von Natur und Moral aufgehoben ist. Auch hier benötigt die Musik ihre Konkretion durch die Szene, damit sie beredt, damit sie zu Handlung wird.

3.4.1.2 Der Tier-Gestus

Wenn der Wald Rudolf Heinrichs den Gedanken an Naturalismus vielleicht noch nahelegt, so ist das aufgrund einer Theaterkonvention, Natur wenn, dann zeichenhaft oder gemalt darzustellen, verständlich. Jedoch in den Tierdarstellungen Naturalismus zu entdecken, mutet schon merkwürdig an. Felsenstein hat mit der Opernchoreographin Irmgard Kern eine Gestik gefunden, die fernab jeder äußerlichen Nachahmung der Tiere liegt, ihre Glaubwürdigkeit erhalten die Tiere nicht dadurch, dass sie vom Zuschauer erkannt werden, der staunend feststellt, dass sich genau so eine Libelle, ein Fuchs oder ein Dachs bewegt. Die Tatsache, dass es durchaus bewunderndes Staunen hervorruft, wenn Darsteller den ihnen so fremden Bewegungsduktus einen Abend lang durchhalten, würde noch nicht erklären, dass die dargestellten Tiere den Zuschauer rühren. Es finden beseelte Darstellungen statt, die zwar mit Antropomorphismen spielen, jedoch nicht in dem plumpen Sinn eines Tierfilmes, in dem Tieren menschliche Empfindungen und Motive zugeschrieben werden, sondern eher genau umgekehrt durch menschliche Gestik, die in Tiergestalt erscheint, verständlich werden. Hier wird eine menschliche Empfindung gewissermaßen kreatürlich durch ein vom Menschen unterschiedenes Wesen zum Ausdruck gebracht und erscheint dadurch verändert.

Die Darsteller erreichen die Wirkung vom menschlichen Empfinden in Tiergestalt dadurch, dass sie den Tierfiguren eine differenzierte Mimik geben, die Tiere haben Gesichtszüge, die einen Ausdruck vermitteln, jedoch ohne aufzuhören, Tier zu sein. Das sei an wenigen Beispielen erläutert: So hechelt der Dackel des Försters während seiner ›Gespräche‹ mit dem Füchslein, der Darsteller des Hahns spielt deutlich den Anflug der Furcht, wenn er schauen soll, was das Füchslein gerade macht. Bevor er sich dem Füchslein nähert, muss er dreimal Schlucken und tut dies mit den typischen ruckartigen Kopfbewegungen dieses Tieres. Ein Tiergestus erhält durch den Handlungszusammenhang und die verlebendigende Mimik Ausdrucksfunktion. Es wird augenscheinlich, dass diese komplexe Darstellungsform mit einer naturalistischen Nachahmung der Tierwelt nichts zu tun hat. Vielmehr ist hiermit eine eigentümliche, sich von realer Tier- und Menschenwelt unterscheidende theatralische Kunstwirklichkeit geschaffen. Dem so gezeigten Natürlichen ist Individualität, Moralität und eine Seele beigegeben. Während den anderen Tieren nicht zuletzt


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