- 118 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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durch aufwendigere Masken auch das Element des Typisierten anhaftet, weisen vor allem die Füchse ein hohes Maß an Individualisierung auf, sie sind beseelt.

Der Tier-Gestus konstituiert eine eigene – höchst artifizielle – Welt voller Emotionen, Interessen und, v.a., ›guter‹ Moral. In dieser Welt des Kreatürlichen kommt die Idealität von Moral zur Darstellung. Dadurch wird sie Gegenwelt zur Menschenwelt, der die Natürlichkeit verloren gegangen ist, bzw. in der sie nur noch als Sehnsucht der Menschen existiert. Darum herrscht in der Menschenwelt ›schlechte‹ Moral. Begehren und Wünsche finden nur noch an ihrem Rand statt (die zumindest anrüchige Verliebtheit der drei männlichen Hauptfiguren Förster, Lehrer und Pfarrer in die Zigeunerin Terynka) oder werden sublimiert, die Sehnsucht nach dem ›Wald‹ als Inbegriff der Naturkraft wird nur in alkoholisiertem Zustand eingestanden. Felsenstein distanziert die Bühnenwelt durch den Tiergestus vom Zuschauer und erzielt ein Mitgefühl, das der Zuschauer gleichzeitig für die Tierwelt entwickelt, er schafft also keine ›heile Welt‹, sondern benutzt eben die Distanz dazu, Aussagen über die Menschenwelt zu machen. Die Tiere agieren ehrlicher, ohne Hintergedanken. Eine die Unmittelbarkeit der Tierwelt besonders verdeutlichende Szene ist die Schilderung des Füchsleins an Reinicke, was es in der Försterei erlebt hat. Das Füchslein spielt alle Vorgänge direkt vor, sie als Schauspieler körperlich nochmals erlebend. Keine reflektierte Schilderung, sondern die direkte Betroffenheit, nicht die zur Erinnerung verblasste Nacherzählung sondern der lebendige Ausdruck des eigenen Gefühls erregt das Mitgefühl nicht nur beim Zuhörer Reinicke.

Alle Vorgänge der Tierwelt scheinen nicht die Brutalität gesellschaftlichen Umgangs zu haben, sondern sind als Naturnotwendigkeiten akzeptiert. Menschliche Umgangsformen werden gespiegelt und dadurch karikiert, dass Tiere sich benehmen. Ein Beispiel: Die ›Schwangerschaft‹ des Füchslein verlangt eine sofortige ›Schnelltrauung ohne Aufgebot‹, der anschließende höfisch anmutende Hochzeitstanz wird zum ironischen Spiel. Gerade der Vergleich mit derselben Situation in der menschlichen Gesellschaft macht die Szene sinnvoll, die Situation entbehrt im Tierwald jeder Kompliziertheit, mutet spielerisch und unmittelbar an. Indem die Umgangsform zum Spiel wird, dem ein Moment kindlicher Nachahmung innewohnt, wird die Härte, die damit in der Menschenwelt praktiziert wird, bloßgestellt (Heirat oder Wohnungssuche sind in der Tierwelt nicht von existenziellem Belang). Die Naturwelt wird so zum Spiegel, in dem der Mangel an menschenfreundlicher Moral in der Menschenwelt erscheint, die Tiere handeln mit einer ›Kultur des Herzens‹, die den Menschen abhanden gekommen ist. Um dies zu zeigen, versuchten Felsenstein und seine Darsteller einen Ausdrucks-Gestus zu finden, der gleichzeitig artifiziell entlegen und unmittelbar verständlich sein musste.

3.4.1.3 Die Menschenwelt

Die Menschenwelt ist durch zwei Spielorte charakterisiert, die Försterei und die Schänke. Felsenstein zeigt die Försterei mittels eines langen Schwenks über den Hof, wobei der größte Teil des Schwenks am Zaun entlang des Hofes verläuft. Die eingezäunte, domestizierte Natur mit den Hühnern, der Hundehütte und dem Dackel wird während der Verwandlung gezeigt. Der Spielort der Försterei ist einmal gekennzeichnet durch die Konfrontation der dort lebenden Tiere – den dummen Hühnern und der trostlosen Existenz des Dackels – mit dem lebendigen und stolzen


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