dem oben
erwähnten, dem jeweiligen Stück fremden Regie-Standpunkt verdanken. Kern des
Anspruches von Felsenstein besteht darin, dass die ganze Inszenierung dem Stück zu
seiner Realität auf der Bühne verhilft. Felsensteins Auffassung verlangt somit unbedingt
die Nähe der Konzeption zum Stück. Felsensteins Begriff einer Konzeption unterscheidet
sich folglich von dem anfangs beschriebenen dadurch, dass er unter einer Konzeption
sämtliche szenischen Bedingungen fasst, die eine Realisierung des als Partitur
vorliegenden Kunstwerks benötigt. Oberstes Primat hat dabei die Partitur
und die in ihr fixierte und zu dechiffrierende ›musikalische Handlung‹ und
nicht
»latente Schichten, mythische Archetypen, historische Tiefenstrukturen, aktuelle Bezüge oder soziale Prämissen.«185
Den Grund dafür spricht er in seinem Traviata-Vortrag aus: »Wie ich überhaupt, meine Damen und Herren, mehr Wert darauf lege, mit improvisierten Ausführungen darauf hinzuweisen, dass man etwas erfahren und kennenlernen muss, weil sonst diese Werke, die vielleicht nie mehr in ihrer dramatischen Qualität vom Menschen wiederholt werden können, einfach missbraucht und benutzt werden für andere Zwecke. Um dieses Verständnis werbe ich. Dass es mir nicht gelingt, das alles vollkommen zu demonstrieren, das tut mir furchtbar leid, aber manchmal ist es besser, manchmal schlechter, aber dass es so sein soll, darauf kann man gar nicht oft genug hinweisen. Verzeihen Sie, wenn ich da manchmal etwas lehrhaft werde, aber es sind nun mal wirkliche, echte, große kulturelle Werte, um die es sich handelt und mit denen manchmal im Namen der Kultur schandbar umgegangen wird.«186
Um die Rettung der Oper als Kunstform, um ihre Eingliederung in den Kanon der Künste geht es Felsenstein.
3.6.1. Der Anlass zur musikalischen ÄußerungDer Anlass zum Singen ist ein zentraler Begriff in Felsensteins Arbeit.187
Die natürliche Ausdrucksform des Menschen sei die Sprache; weiche man davon ab, müsse das einen Grund haben. Weil Gesang keiner gewohnten Äußerung entspreche, müsse ein entsprechender, das Außergewöhnliche des Singens erklärender Grund fürs Singen vorliegen, damit Gesang zu einer glaubhaften Äußerung werden könne. Ein solcher Grund kann aus Felsensteins Sicht nur im musikalisch zu äußernden Zustand liegen. Sind die Zustände in der Art außergewöhnlich, dass sie Singen veranlassen, erscheint es auf einer sozusagen zweiten Ebene natürlich und damit glaubhaft, wenn auf der Bühne gesungen wird. Somit dient die Vergegenwärtigung des Anlasses der Überwindung tendenzieller Künstlichkeit,188
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