- 135 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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3.8.  Die Werkanalyse

Felsensteins Behauptung, die Partitur sei »ein Regie-Buch par excellence«, soll nun anhand seiner Analyse von Verdis ›La Traviata‹ erläutert werden. Aus dem Partiturstudium sollen nicht nur Zwecke der handelnden Personen, deren Charaktere sowie auf der musikalischen Ebene dramaturgische Begründungen für alle vorkommenden musikalischen Formen entwickelt werden, sondern auch das Bühnenbild:

3.8.1.  Bühnenbild

»Ich verabscheue die dekorierte Bühne. Darunter verstehe ich das sogenannte ›schöne Bild‹ mit der ›bezaubernden Atmosphäre‹. [...] Es begleitet das Werk, während dieses doch in ihm enthalten sein muß. [...] Das Bühnenbild muß alles enthalten, was für den Inhalt und die Dramatik einer Szene notwendig ist.«192

192
Felsenstein Schriften, S. 100

Die Absage an die ›dekorierte Bühne‹ weist einem adäquaten Bühnenbild eine dramatische Aufgabe zu, wenn es für ›Inhalt und Dramatik einer Szene notwendig ist‹. Um nicht als Dekor zu fungieren, sondern der Handlung zu dienen, muss es aus den Ergebnissen einer Stückanalyse entwickelt sein, die sich im Musiktheater insbesondere der Musik verpflichtet sieht. Es soll also gezeigt werden, wie sich das Bühnenbild der ›Traviata‹ an der Komischen Oper Berlin der Musikdramaturgie der Oper Verdis verdankt.

Die vom Bühnenbildner Rudolf Heinrich und Felsenstein entwickelte Grundidee für das Bühnenbild des I. Akt bestand darin,

»dass das Bühnenbild ein herrlicher Sarg ist, ein Sarg, in dem sich die, die tot sind oder tot werden, ohne es zu wissen, bewegen.«193

193
Transkription, S. 3

Die bühnenbildnerische Übersetzung dieser Grundidee, ein

»Festsaal, der in Gold und prachtvollen Kostümen ausgestattet ist, aber in völligem schwarzen Parkett und schwarzer Umgebung«,194

194
ebd.

wurde aus dem Vorspiel entwickelt. Felsenstein gibt für diese Bühnenbild- Idee zwei Begründungen aus der Musik heraus an: Erstens sei der Beginn des Vorspiels identisch mit dem Vorspiel zum letzten Akt, dem Sterbeakt der Violetta Valery. Zweitens taucht das Liebesmotiv nur einmal in der ganzen Oper noch auf:

»[...] am Schluss des II. Aktes, wo Violettas Lügen – Selbstlüge –, auf Alfred verzichten zu können, versagt und ihre ganze Liebeskraft und ihr Liebesschmerz in diesem Thema fortissimo durchbricht. Es kann also keine Diskussion darüber geben, dass die Handlung im Zeichen des Todes steht, dass nicht aufgrund von irgendwelchen Ereignissen im Laufe des Stückes der Tod Violettas besiegelt oder begründet wird, sondern dass der Tod Violettas von vornherein feststeht.«195

195
ebd., S. 2


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