- 39 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Zuschauer vergisst die spezifische Qualität dieser (Theater-) Wirklichkeit, gelebtes Spiel zu sein, keinen Moment. Trotzdem besitzt dieses Spiel im Theater die Qualität des Realen. Wirkliche Schauspieler aus Fleisch und Blut führen wirkliche Handlungen aus und realisieren so eine Bühnenfigur, die als solche vorher nur chiffriert in einem Stück existierte.

2.2.2.  Das ›Echte‹ als Kriterium für die Wahrscheinlichkeit einer Handlung

Eine systematische Entgegensetzung der Kategorien des Theatralischen und des Echten75

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vgl. z. B. Asmuth, Bernhard: Einführung in die Dramenanalyse, Stuttgart, Metzler 1990, 198: »Gemälde und Dramenaufführungen können den Eindruck erzeugen, das Dargestellte sei echt, was heißen soll, die darstellenden Dinge bzw. Personen seien mit den dargestellten identisch.«
geht an den ästhetischen Grundlagen des Theaters vorbei. Denn es ist keineswegs so, dass ein Zuschauer nur diejenigen Bühnenvorgänge für glaubwürdig erachtet, die den Eindruck erwecken, im obigen Sinne echt zu sein. Wenn das, was auf der Bühne erscheint, für den Zuschauer nur glaubhaft wäre, solange er es auch für echt hielte, würde dies bedeuten, dass, solange Illusionstheater wirklich stattfindet, auch die Illusion des Zuschauers, das, was er sieht, sei echt, aufrecht erhalten bliebe.76
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Ohne einen Grund zu nennen, scheint Asmuth im Folgenden an der Illusionskraft des Theaters zu zweifeln, denn »die Illusion mag noch so groß sein, früher oder später wird sie doch als solche erkannt« ebd., S. 196
Ihm müsste der Wesenszug des Theaters, ›Spiel‹ zu sein, verborgen bleiben.

Das, was Illusion genannt wird, ist ein Verhältnis zwischen Bühne und Publikum, das sich aus der Ästhetik einer Theateraufführung nicht erklären lässt, sondern eine Haltung des Zuschauers zum Grund hat, für die er selbst sich entscheidet. Diese Haltung hält keineswegs die angeschauten Vorgänge auf der Bühne für echt, sondern sie bedeutet, die Vorgänge mitfühlend erleben zu wollen. Wäre diese Zuschauerhaltung nicht Resultat des Entschlusses der Zuschauer, sondern allein in der Art und Weise der Bühnenvorgänge begründet, so müsste konsequenterweise eine solche Erklärung behaupten, dass die Illusion solange andauern würde, wie gelungenes Illusionstheater gespielt wird. Illusion – wenn man diesen Vorgang so irritierend nennen möchte – findet dagegen nicht durch eine Verwechslung von ›echter‹ und Theaterwirklichkeit statt. Eine Handlung auf dem Theater ist dann glaubwürdig, wenn sie den Zuschauer packt, ihn in seiner Einbildungskraft so affiziert, dass er sich entschließt, dem Darsteller zu glauben, was heißt, dass er mit der dargestellten Figur mitfühlt. Es ist keinesfalls für die Glaubwürdigkeit einer Handlung notwendig, dass sie auch im Leben so passieren könnte.

2.2.3.  Felsenstein

Die Kategorie der Glaubwürdigkeit der Handlung erfährt bei Felsenstein eine interessante Modifikation, die im Gegensatz zu der Auffassung steht, das Kriterium der


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