- 83 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Unterlegung wird vor allem das Geheimnisvolle und Erhabene der schöpferischen Einbildungskraft Hoffmanns betont. Ohne die Klänge wäre die Aufmerksamkeit auf das gerichtet, was Hoffmann sagt. Erst die Musik rückt den Prozess des Dichtens in den Vordergrund, was in Anbetracht der oben geschilderten Überlegungen Felsensteins zur Ausgangssituation Hoffmanns ausgesprochen stimmig ist.

3.3.1.3 Olympia-Akt

»Man muß ganz von der Figur, von der Situation ausgehen, wie sie im Stück gezeigt wird«,71

71
ebd.
verlangt Felsenstein als Arbeitsmaxime. Dieser Standpunkt ist jeder seiner Erklärungen für die phantastischen Vorkommnisse in dieser Oper anzumerken. Nicht eine Sicht auf das Stück, eine Deutung aus psychoanalytischer oder sonstwie gearteter Voreingenommenheit wird gesucht, sondern eine Erklärung der Handlung und deren Verwirklichung in tatsächlichen Bühnenvorgängen.

Nachdem in der 1. Szene in Luthers Keller exponiert wurde, dass Hoffmann aufgrund einer unglücklichen Liebe in eine Schaffenskrise geriet, die er als Dichter reflektierend auf sein eigenes Schicksal durch künstlerische Produktivität bewältigen soll, ist klar, dass der Olympia-Akt Hoffmanns erstes Produkt der Auseinandersetzung mit seiner Krise ist. Insofern stellt Felsenstein vollkommen berechtigt fest, dass Olympia »im Grunde doch Stella«72

72
ebd., S. 288
ist. Wesentlich für das Verständnis der Olympia-Figur und ihrer Musik ist dann die Erklärung, warum erstens die Erscheinungsform Stellas in Hoffmanns künstlerischen Visionen, nämlich Olympia, eine Puppe ist und zweitens, warum der studiosus Hoffmann73
73
Im Folgenden steht der »studiosus« für den innerhalb des Olympia-Aktes handelnden Hoffmann, während mit ›Hoffmann‹ der in Luthers Keller sitzende ›reale‹ Dichter bezeichnet ist.
sich im Olympia-Akt in diese Puppe verliebt. Felsenstein bemerkt dazu:

»Wer ist Olympia? Im Grunde doch Stella [...], die von Hoffmann als so kalt angesehen wird, daß hier eine Puppe entsteht. Der merkwürdige Witz dabei ist aber, daß noch immer die Liebe Hoffmanns zu Stella zu spüren sein muß, das heißt, die Puppe Olympia setzt sich zusammen aus dem, was die Rachsucht, der Haß Hoffmanns erzeugt, und dem, was an Liebe dabei vorhanden ist.«74

74
ebd., S. 288f.

Anerkennt man die beschriebene Ausgangssituation Hoffmanns, so ist das die einzig plausible Erklärung für die Verliebtheit Hoffmanns in eine Puppe. Der Wunsch des immer noch liebenden Hoffmann, sich von seiner unglücklichen Liebe Stella zu distanzieren, wird künstlerisch verarbeitet in der Konstellation des abgespaltenen Ichs (der studiosus Hoffmann), das in Olympia verliebt ist. Die Verarbeitung besteht darin, dass Hoffmann seine im studiosus inkarnierte Liebe von sich abspaltet und, indem er den studiosus eine Puppe lieben lässt, distanziert reflektiert. Dieser Form der Verarbeitung ist selbstverständlich anzumerken, wie sehr Hoffmann noch in seiner Krise steckt, seine unglückliche Liebe zu Stella wird keineswegs in seine Biografie integriert, sondern in einem drastischen, wirklich rachsüchtigen, hasserfüllten Bild gespiegelt.


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