- 54 -Behrendt, Frauke: Handymusik 
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Auch der Walkman ist also ein Gerät, dem wir erlaubt haben, uns sehr eng an den Körper zu rücken. Der Walkman mit seinen Kopfhörern befindet sich zwar noch außerhalb des Körpers (Ohrhörer sind bereits innerhalb des Ohres), aber die Wahrnehmung des Walkmans wird bereits beschrieben als ob das Gerät ein Teil des Körpers wäre: »Der Walkman funktioniert nicht als Verlängerung des Körpers (wie bei anderen Instrumenten der musica mobilis) sondern wie ein eingebautes Teil oder – aufgrund seiner Intimität – wie eine eingepflanzte Prothese.«124
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Hosokawa, Shuhei: Der Walkman Effekt. Berlin 1987, S. 32
Diese Beschreibung des Walkmans verweist ebenso wie die bisherige Beschreibung des Handys auf den Topos des Cyborg. Der Begriff Cyborg wurde 1960 von Manfred E. Clyne und Nathan S. Kline in der Geschichte »Cyborgs and Space« geprägt.125
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Wurde im »Cyborg Handbook« wiedergedruckt [vgl. Habels-Gray, Chris: Cyborg Handbook. New York, 1995, S. 29 ff.]
Sie beschrieben damit einen verbesserten Menschen, der in außerirdischer Umgebung überleben kann, der also gerüstet ist, um ins All zu fliegen. Zuvor tauchte der Begriff aber schon einmal auf: eine Labormaus in den 50er Jahren in New York trug diesen Namen. Ihr wurde eine kleine osmotische Pumpe implantiert, durch die sie Medikamente verabreicht bekam. Im Vergleich zu den unmodifizierten Artgenossen hatte diese Maus etwas extra, etwas zusätzliches, das sie von allen normalen, natürlichen Mäusen unterscheidet.126
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Vgl. Habels-Gray, 1995, S. XI ff.
Demnach besitzt ein Cyborg etwas zusätzliches, etwas extra. Der Mensch oder im Prinzip alle Lebewesen werden im Cyborgdiskurs als defizitär und potentiell verbesserungswürdig angesehen. Sie werden mit Technologie ausgestattet, um dies wettzumachen. Ziel ist die Erweiterung der Fähigkeiten des defizitären Menschen, der auf materielle Prothesen angewiesen ist. Nach und nach haben wir uns an immer mehr Technologie in unserem Leben und besonders an und in unseren Körpern gewöhnt. Es wird als völlig natürlich angesehen, sich einen digitalen Herzschrittmacher einsetzen zu lassen, oder dass jedes Kind einen kleinen Computer in Form eines Mobiltelefons in der Hosentasche trägt. Zukunftsvisionen, Science-Fiction-Szenarien, Cyberpunkliteratur und Ähnliches lassen uns ›den Cyborg‹ immer als etwas sehr Fremdes, Unnatürliches, Unmenschliches erscheinen. In Wahrheit sind wir alle schon lange Cyborgs, wie Haraway127
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Haraway beschreibt sogar die Erde als Cyborg. Vgl. Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur : Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt 1995
betont. Handykünstler und Handymusiker rücken diese Thematik mit ihren Werken in den Mittelpunkt unseres Interesses, spielen mit der Spannung, die sich zwischen Körper und Technologie ergibt. So war diese Thematik beispielsweise bei der Veranstaltung Intimate Technogies/ Dangerous Zones128
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Vgl. Kapitel 4.3
zentral. Auch bei Kadoum sehen wir eine künstlerische und musikalische Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Körper und der ihm immer näher rückenden Kommunikationstechnologie.


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