- 183 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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durch die Einführung des elektrischen Aufnahmeverfahrens. Vor diesem Zeitpunkt wurden die Schallwellen auf rein mechanischem Weg in die Bewegung des Schneidstichels umgesetzt; hier spricht man vom akustischen Aufnahmeverfahren.

In ihrer Frühzeit stand der Schallaufzeichnung ein weiteres Verfahren der Musikreproduktion gegenüber, nämlich das mittels mechanischer Musikinstrumente. Das bekannteste mechanische Reproduktionsinstrument dürfte der Welte-Mignon-Flügel sein. Während die akustische Aufnahme die Schallinformation speichert, zeichnen mechanische Verfahren Informationen über das Spiel eines Instrumentalisten – meist Pianisten – auf, wie Zeitpunkt und Intensität der Tastenanschläge.

Gegenüber mechanischen Verfahren erlebten die Zeitgenossen den großen Vorzug der akustischen Reproduktion darin, dass diese ein genaues Bild der individuellen künstlerischen Leistung wiedergab. Deshalb wurde die Schallplattenwiedergabe oft als frappant identisch mit der Live-Darbietung empfunden; Naturtreue bestand für die Hörer also zunächst in künstlerischer Authentizität. Dabei war man sich der Unvollkommenheit der Klangwiedergabe, zumindest in Fachkreisen, bewusst, etwa was lineare und nicht lineare Verzerrungen betrifft. Technisch gesehen war der Begriff der Naturtreue daher besetzt von den Problemen der Schallübertragung. Hier kam es zunächst darauf an, den Schall, der am Trichter (bzw. später am Mikrofon) ankam, bei der Wiedergabe unverzerrt zu reproduzieren; das war das Ziel der technischen Bemühungen.

Die Gestaltungsmöglichkeiten der akustischen Aufnahmen waren stark eingeschränkt durch die Tatsache, dass die zum Schneiden der Wachsplatte nötige mechanische Energie allein aus der Schallenergie gewonnen werden musste. Deshalb war hoher Schalldruck Bedingung für eine überhaupt erfolgreiche Aufnahme. Nur geringfügig konnte der Aufnahmeingenieur durch die Anordnung der Schallquellen um den Trichter die Stimmenbalance beeinflussen.

Eine eigentliche Klanggestaltung wurde erst mit dem elektrischen Aufnahmeverfahren um 1925 möglich. Denn da der Schall jetzt zunächst in elektrische und dann erst – unter zusätzlicher Energiezufuhr – in mechanische Schwingungen umgewandelt wurde, konnte leiserer Schall gespeichert werden. So kam der Raumschall als Bestandteil der Aufnahme in Betracht. Damit war jetzt eine ästhetische Frage zu entscheiden und zu diskutieren.7

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Zu dieser Diskussion vgl. etwa Bernhard Winzheimer, Das musikalische Kunstwerk in elektrischer Fernübertragung, Augsburg 1930, S. 34–42.
Hinsichtlich der Naturtreue lassen sich dabei sowohl trockene als auch räumliche Aufnahmen rechtfertigen: trockene Aufnahmen als Abbildung der Schallquellen, räumliche Aufnahmen als Abbildung des Aufnahmeraums. Das grundsätzliche Problem der Naturtreue indes, dass die Schallinformation an jedem Punkt des Aufnahmeraums eine andere ist und es damit den einen originalen Schall nicht gibt, war damals noch keineswegs virulent. Denn vorrangiges Ziel der übertragungstechnischen Entwicklung blieb vorerst das Angleichen der Übertragungseigenschaften an die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit: Die Differenz zwischen beidem war bei der Schellackplatten-Wiedergabe noch allzu deutlich hörbar.

Weil in der ersten Jahrhunderthälfte die Qualität der Signalübertragung im Vordergrund stand, konnte als Ideal der Musikübertragung Naturtreue gelten: Als Ziel der Aufnahme wurde die „möglichst naturgetreue, uneingeschränkte Wiedergabe


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