- 191 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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positionen herausbildeten, nicht jedoch eine entsprechende schallplatten-eigene Musik. Stange begründet dies mit dem Dokumentcharakter der Schallplatte und dem im 19. Jahrhundert aufkommenden Interpretenkult. Als Aufgabe der Schallplatte sähen Hörer und vor allem Interpreten die „Bewahrung des Aufgezeichneten“ und daraus entspringe das Bemühen um Klangtreue.33
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Joachim Stange, Die Bedeutung der elektroakustischen Medien für die Musik im 20. Jahrhundert, Pfaffenweiler 1988, S. 187.
Der hohe Stellenwert der Darbietung, der sich aus der Vergötterung der Interpreten ergibt, wird noch gesteigert durch die Verewigung der Aufführung in der Schallplattenaufzeichnung. – Der Vergleich mit der Rundfunkübertragung führt jedoch bei der Frage der Klangtreue nicht weiter, da die Klanggestaltung bei Übertragungen klassischer Musik im Rundfunk den gleichen Gesetzen folgt wie bei der Schallplattenaufnahme.

Zum Respekt vor der Aufführung durch den Interpreten kommt bei der Musikaufzeichnung Respekt vor der Komposition und ihrem Urheber hinzu.34

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Dieser Gedanke geht auf einen mündlichen Hinweis von Stefan Weinzierl am 20. 11. 1998 zurück.
Klassische Musik, wie sie heute praktiziert wird und das Repertoire beherrscht, ist Komponistenmusik. Der Interpret steht zwar häufig, wenn nicht in der Regel bei Konzerten und Schallplatteneinspielungen im Mittelpunkt des Interesses, die Interpretation wird jedoch dem Komponisten verantwortlich gemacht – um so mehr, seit sich Wissenschaftler und Musiker um historisch richtige Aufführungsweisen bemühen. Ein Grund für die Autorität des Konzerts könnte also in der Vorstellung liegen, die aufzunehmenden Werke seien eben für die Aufführung in einem architektonischen Raum komponiert und seien daher auch auf der Aufnahme in räumlicher Einheit und Stabilität und unter Einbeziehung der Raumakustik wiederzugeben.35
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Aufnahmen von Jazzmusik, bei der der Komponist nicht als wichtigster Bezugspunkt fungiert, werden in der Regel nicht konzertmäßig gestaltet. – Allerdings dürfte das nicht der einzige Grund sein; so hat der Jazz etwa auch keine weit zurückreichende Konzerttradition und weist – zumindest historisch gesehen – Merkmale von Umgangsmusik auf.
Diese Ansicht ist gewiss – bewusst oder unbewusst – wirksam; zu hinterfragen ist sie aber in zweierlei Hinsicht. Zum einen liegt ihr der Wille zugrunde ein Werk in der vom Komponisten intendierten Form darzustellen. Dazu gehört aber mehr als die räumliche Aufführungssituation. Wer sagt, Komponisten hätten ihre Werke für die Aufführung in Räumen komponiert, muss auch sehen, dass dieselben Werke in einen gesellschaftlichen Kontext und eine Kommunikationssituation hineingestellt wurden. Beides aber trennt nicht nur die Schallplatte auf, es ist auch im Konzert angesichts der historischen Distanz nicht reproduzierbar. Zum anderen ist zu bedenken, dass auch die Autorität des Komponisten historisch bedingt ist und gerade durch die technische Reproduktion von Musik begünstigt worden zu sein scheint. Dies spiegelt sich etwa darin, dass sich „Urtext“-Noteneditionen zur gleichen Zeit einbürgerten, als viele verschiedene Interpretationen durch die Schallplatte vergleichbar wurden.36
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Martin Elste, Technische Reproduktion, in: Hermann Danuser (Hg.), Musikalische Interpretation, Laaber 1992 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 11), S. 403.

Besonders grundlegend für die Orientierung der Musikaufzeichnung am Konzert scheint schließlich die hohe Bedeutung zu sein, die das Konzert in der Musikkultur hat. Das Konzert mit seinem Vis-a-vis von Musiker und Publikum, seinem Ereignischarakter und seiner Raumgebundenheit „ist eine der Hauptformen ,bürgerlicher


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