positionen
herausbildeten, nicht jedoch eine entsprechende schallplatten-eigene Musik. Stange
begründet dies mit dem Dokumentcharakter der Schallplatte und dem im 19. Jahrhundert
aufkommenden Interpretenkult. Als Aufgabe der Schallplatte sähen Hörer und vor allem
Interpreten die „Bewahrung des Aufgezeichneten“ und daraus entspringe das Bemühen um
Klangtreue.
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- Joachim Stange, Die Bedeutung der elektroakustischen Medien für die Musik im 20.
Jahrhundert, Pfaffenweiler 1988, S. 187.
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Der hohe Stellenwert der Darbietung, der sich aus der Vergötterung der Interpreten
ergibt, wird noch gesteigert durch die Verewigung der Aufführung in der
Schallplattenaufzeichnung. – Der Vergleich mit der Rundfunkübertragung führt
jedoch bei der Frage der Klangtreue nicht weiter, da die Klanggestaltung bei
Übertragungen klassischer Musik im Rundfunk den gleichen Gesetzen folgt wie bei der
Schallplattenaufnahme.
Zum Respekt vor der Aufführung durch den Interpreten kommt bei
der Musikaufzeichnung Respekt vor der Komposition und ihrem Urheber
hinzu.34
- Dieser Gedanke geht auf einen mündlichen Hinweis von Stefan Weinzierl am 20. 11. 1998
zurück.
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Klassische Musik, wie sie heute praktiziert wird und das Repertoire beherrscht, ist
Komponistenmusik. Der Interpret steht zwar häufig, wenn nicht in der Regel bei
Konzerten und Schallplatteneinspielungen im Mittelpunkt des Interesses, die
Interpretation wird jedoch dem Komponisten verantwortlich gemacht – um so mehr, seit
sich Wissenschaftler und Musiker um historisch richtige Aufführungsweisen
bemühen. Ein Grund für die Autorität des Konzerts könnte also in der Vorstellung
liegen, die aufzunehmenden Werke seien eben für die Aufführung in einem
architektonischen Raum komponiert und seien daher auch auf der Aufnahme in
räumlicher Einheit und Stabilität und unter Einbeziehung der Raumakustik
wiederzugeben.
35
- Aufnahmen von Jazzmusik, bei der der Komponist nicht als wichtigster Bezugspunkt fungiert,
werden in der Regel nicht konzertmäßig gestaltet. – Allerdings dürfte das nicht der einzige
Grund sein; so hat der Jazz etwa auch keine weit zurückreichende Konzerttradition und weist
– zumindest historisch gesehen – Merkmale von Umgangsmusik auf.
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Diese Ansicht ist gewiss – bewusst oder unbewusst – wirksam; zu hinterfragen ist sie
aber in zweierlei Hinsicht. Zum einen liegt ihr der Wille zugrunde ein Werk in der vom
Komponisten intendierten Form darzustellen. Dazu gehört aber mehr als die räumliche
Aufführungssituation. Wer sagt, Komponisten hätten ihre Werke für die Aufführung in
Räumen komponiert, muss auch sehen, dass dieselben Werke in einen gesellschaftlichen
Kontext und eine Kommunikationssituation hineingestellt wurden. Beides aber
trennt nicht nur die Schallplatte auf, es ist auch im Konzert angesichts der
historischen Distanz nicht reproduzierbar. Zum anderen ist zu bedenken, dass auch
die Autorität des Komponisten historisch bedingt ist und gerade durch die
technische Reproduktion von Musik begünstigt worden zu sein scheint. Dies
spiegelt sich etwa darin, dass sich „Urtext“-Noteneditionen zur gleichen Zeit
einbürgerten, als viele verschiedene Interpretationen durch die Schallplatte vergleichbar
wurden.
36
- Martin Elste, Technische Reproduktion, in: Hermann Danuser (Hg.), Musikalische
Interpretation, Laaber 1992 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 11), S. 403.
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Besonders grundlegend für die Orientierung der Musikaufzeichnung am Konzert
scheint schließlich die hohe Bedeutung zu sein, die das Konzert in der Musikkultur
hat. Das Konzert mit seinem Vis-a-vis von Musiker und Publikum, seinem
Ereignischarakter und seiner Raumgebundenheit „ist eine der Hauptformen ,bürgerlicher