- 192 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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Musikkultur‘“37
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Hanns-Werner Heister, Das Konzert – Theorie einer Kulturform, Wilhelmshaven 1983, S. 25.
, ja es ist so selbstverständlich vorherrschend, dass es als natürliche Art der Musikdarbietung und -ausübung erscheint.38
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Ebd.
Diese Vorherrschaft wird zwar der Menge der Musikrezeption nach durch die Schallplatte übertroffen, doch umgekehrt scheint gerade die Schallplatte – wie oben dargestellt – das Prestige des Konzerts als „unverfügbarem Ereignis“ zusätzlich zu befördern. Dieses Prestige dominiert offensichtlich die Gestaltung auch von elektroakustisch wiedergegebener Musik.

Mit der historischen Etablierung des Konzerts als zentraler Form der Musikdarstellung geht darüber hinaus eine Veränderung der Stellung des Komponisten und des Werkbegriffs einher: „Musikhistorisch setzt [. . . ] konzertmäßige Realisierung die bereits vollzogene strukturelle Trennung von Produktion (i. S. von Komposition) und Reproduktion voraus, die zu einer weitgehenden – wenn auch nicht völligen – personalen Trennung von Komponisten und Interpreten fortschreitet. Diese Trennung vergegenständlicht sich in einem besonderen historischen Typ von Komposition, dem Werk; demgegenüber ist spontanes, improvisatorisches Musizieren, Einheit von Produktion und Reproduktion [. . . ] ein Sonderfall [. . . ].“39

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Ebd., S. 45
Dieses neue Werkverständnis wirkt sich auch auf die musikalische Kommunikation aus. Musik, zumal absolute, ist mit ihm „entkoppelt einer linearen Kommunikation, die Bedeutungen austauscht von Angesicht zu Angesicht, intersubjektiv“40
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Christian Kaden, Musiksoziologie, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearbeitete Ausgabe, hg. von Ludwig Finscher, Kassel, Stuttgart u. a. 1997, Sachteil Bd. 6, Sp. 1651.
. Die Emanzipation des musikalischen Kunstwerks vom Akt seiner Aufführung geht so weit, dass „im Kunstwerk der ,Sender‘ musikalischer Kommunikation vermutet wird“41
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Ebd.
. Damit ist Musik nicht nur technisch, sondern auch der allgemeinen Rezeptionshaltung nach nicht mehr auf die räumliche und zeitliche Anwesenheit des ausführenden Musikers angewiesen.

Wenngleich also das Konzert mit seinem kulturellen Gewicht die elektroakustische Reproduktion ästhetisch beherrscht, hat es dennoch die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich die Musikdarstellung überhaupt vom Konzert lösen konnte. Die Abspaltung der neuen Institution Schallplatte blieb dabei gewissermaßen unbemerkt; denn das Hier-und-jetzt des Musizierens, die Von-Angesicht-zu-Angesicht-Kommunikation war bereits zuvor aus der Musikwahrnehmung verdrängt worden. Die Differenzen zwischen Schallplatte und Konzert werden offensichtlich nicht als entscheidend wahrgenommen, und dafür ist die beschriebene Wandlung des Musikbegriffs Möglichkeitsbedingung. Nur weil sich das Werk schon längst vor der Erfindung der technischen Musikreproduktion vom Musizieren gelöst hatte, kann die Schallplatte Ersatz für das Konzert sein.

Naturtreue, so konnte gezeigt werden, war für die Musikaufnahme nur so lange ein akzeptables Ideal, wie die technische Übertragung akustischer Signale dem Gehör deutlich wahrnehmbar unterlegen war. Auch wenn die Vorstellung, die elektroakustische Wiedergabe habe die Musikdarbietung im Aufnahmeraum identisch abzubilden, partiell bis heute wirksam ist, hat sich im Allgemeinen die Auffassung durchgesetzt, in der Musikaufnahme sei mit künstlichen Mitteln eine Illusion


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