Musikkultur‘“
37
- Hanns-Werner Heister, Das Konzert – Theorie einer Kulturform, Wilhelmshaven 1983, S. 25.
|
, ja
es ist so selbstverständlich vorherrschend, dass es als
natürliche Art der Musikdarbietung und -ausübung
erscheint.
38
Diese Vorherrschaft wird zwar der Menge der Musikrezeption nach durch die Schallplatte
übertroffen, doch umgekehrt scheint gerade die Schallplatte – wie oben dargestellt – das
Prestige des Konzerts als „unverfügbarem Ereignis“ zusätzlich zu befördern.
Dieses Prestige dominiert offensichtlich die Gestaltung auch von elektroakustisch
wiedergegebener Musik.
Mit der historischen Etablierung des Konzerts als zentraler Form der Musikdarstellung
geht darüber hinaus eine Veränderung der Stellung des Komponisten und des
Werkbegriffs einher: „Musikhistorisch setzt [. . . ] konzertmäßige Realisierung die bereits
vollzogene strukturelle Trennung von Produktion (i. S. von Komposition) und
Reproduktion voraus, die zu einer weitgehenden – wenn auch nicht völligen –
personalen Trennung von Komponisten und Interpreten fortschreitet. Diese
Trennung vergegenständlicht sich in einem besonderen historischen Typ von
Komposition, dem Werk; demgegenüber ist spontanes, improvisatorisches
Musizieren, Einheit von Produktion und Reproduktion [. . . ] ein Sonderfall
[. . . ].“39
Dieses neue Werkverständnis wirkt sich auch auf die musikalische Kommunikation
aus. Musik, zumal absolute, ist mit ihm „entkoppelt einer linearen
Kommunikation, die Bedeutungen austauscht von Angesicht zu Angesicht,
intersubjektiv“
40
- Christian Kaden, Musiksoziologie, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2.,
neubearbeitete Ausgabe, hg. von Ludwig Finscher, Kassel, Stuttgart u. a. 1997, Sachteil Bd.
6, Sp. 1651.
|
.
Die Emanzipation des musikalischen Kunstwerks vom Akt seiner Aufführung geht so
weit, dass „im Kunstwerk der ,
Sender‘ musikalischer Kommunikation vermutet
wird“
41 .
Damit ist Musik nicht nur technisch, sondern auch der allgemeinen Rezeptionshaltung
nach nicht mehr auf die räumliche und zeitliche Anwesenheit des ausführenden Musikers
angewiesen.
Wenngleich also das Konzert mit seinem kulturellen Gewicht die elektroakustische
Reproduktion ästhetisch beherrscht, hat es dennoch die Voraussetzung dafür geschaffen,
dass sich die Musikdarstellung überhaupt vom Konzert lösen konnte. Die Abspaltung der
neuen Institution Schallplatte blieb dabei gewissermaßen unbemerkt; denn das
Hier-und-jetzt des Musizierens, die Von-Angesicht-zu-Angesicht-Kommunikation war
bereits zuvor aus der Musikwahrnehmung verdrängt worden. Die Differenzen
zwischen Schallplatte und Konzert werden offensichtlich nicht als entscheidend
wahrgenommen, und dafür ist die beschriebene Wandlung des Musikbegriffs
Möglichkeitsbedingung. Nur weil sich das Werk schon längst vor der Erfindung der
technischen Musikreproduktion vom Musizieren gelöst hatte, kann die Schallplatte
Ersatz für das Konzert sein.
Naturtreue, so konnte gezeigt werden, war für die Musikaufnahme nur so lange
ein akzeptables Ideal, wie die technische Übertragung akustischer Signale dem
Gehör deutlich wahrnehmbar unterlegen war. Auch wenn die Vorstellung, die
elektroakustische Wiedergabe habe die Musikdarbietung im Aufnahmeraum identisch
abzubilden, partiell bis heute wirksam ist, hat sich im Allgemeinen die Auffassung
durchgesetzt, in der Musikaufnahme sei mit künstlichen Mitteln eine Illusion