- 238 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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Form eines vom Normmeter abgeleiteten Zollstocks, wird in Form eines Werkzeugs vergegenständlicht; der griechische Ausdruck für Werkzeug lautet organon. Möglicherweise liegt eine Ursache dafür, daß eine Musizierpraxis, nämlich die Mehrstimmigkeit, und ein Musikinstrument, die Orgel, die selbe Bezeichnung tragen, hier, in den Anfängen der Digitalisierung. Die Orgel liefert dabei mit ihren festgelegten Tonhöhen gleichsam den „Normmeter“ für das mehrstimmige Musizieren.

Mit dem Beginn der Mehrstimmigkeit nahm das Schicksal der Digitalisierung in der abendländischen Musik ihren unaufhaltsamen Lauf – eine Entwicklung, die mit der Festlegung eines Kammertons perfektioniert und der Stilisierung des Einzeltons in der Seriellen Musik schließlich ad absurdum geführt wurde.

Nicht zufällig wurde, als die Mehrstimmigkeit sich entfaltete, auch die Notation digital: Vertikale Rasterung in Form von Notenlinien tauchte auf.

Der Begriff „digitus“, lateinisch für Finger, erinnert an die Guidonische Hand. Nicht zufällig trägt sie den Namen desjenigen Musikers, der auch für die Anfänge der digitalen Notation steht. Auch das instrumentale Musizieren, z. B. auf dem damaligen Clavier (lat. clavis: Schlüssel: die Taste als „Schlüssel“ zum Ton), dem Orgelkeyboard mit Hilfe der Finger symbolisiert digitales Musizieren auf sprachlicher Ebene.

In der abendländischen Musikgeschichte hat sich die Digitalisierung – hauptsächlich aufgrund ihres enormen Vorteils einer weitreichenden Unzweideutigkeit – durchgesetzt.3

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Dagegen ist in Partituren Neuer Musik häufig wieder eine Rückkehr zu analoger Notation zu beobachten, diese wird in der Regel als „grafische Notation“ bezeichnet.

Eine radikale Digitalisierung zeigt auch die vollzogene Nivellierung der Enharmonik. Mit der gleichschwebend temperierten Stimmung wurden die Unterschiede zwischen erhöhten und erniedrigten Halbtönen zunächst physikalisch aufgehoben. Zweihundert Jahre später, nämlich mit der Dodekaphonie, wurden diese Unterschiede schließlich auch semantisch ausgelöscht.4

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Auf das Mißverständnis, das allerdings bei der Vermischung unterschiedlicher Bedeutungsebenen entsteht, hat Bernd Enders in der Podiumsdiskussion der KlangArt 1995 hingewiesen: „Die Datenreduktion durch die Vereinfachung der Tastatur für den Spieler erscheint sinnvoll und war auch nicht anders möglich. Daß diese technische Vereinfachung zu einer neueren Musikform plötzlich zum konstituierenden Merkmal wurde, ist offenbar nicht allen voll bewußt.“ (Christine Flender & Markus Heuger: Digitalisierung der Medien – Digitalisierung der Musikästhetik: Bericht über die Podiumsdiskussion, in: Bernd Enders & Niels Knolle (Hg.): KlangArt-Kongreß 1995 (=Musik und Neue Technologie 1, Osnabrück 1998), S. 437.)

Auch die musikalische Zeit ist heute konsequent gerastert. Nicht erst im Computerzeitalter, in dem, wie im folgenden Beispiel, die proportionale Darstellung in Rasterung perfektioniert ist, sondern schon lange bemühen sich Notensetzer um eine gewisse Proportionalität in der Darstellung von Längen:


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