- 322 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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Ein Moment Stille

Was stellen wir uns unter dem Begriff globales Dorf/global village eigentlich vor? Echte Dorfbewohner kennen jeden Winkel und jede Ecke ihres Dorfes, jeden Klang, jeden Geruch. Gerade weil sie jedes Detail des Dorfes kennen, haben sie eine Übersicht über und ein globales Bewußtsein zu diesem Ort. Es ist ein Organismus, der gerade wegen des globalen Bewußtseins aller Einwohner von selber funktioniert. Als Dorfbewohner lebt man innerhalb der Klanghaut des Dorfes. Man erlebt und hört das, was ist und fühlt sich darin geborgen.

Wenn bei diesem Kongreß vom global village die Rede ist, so drückt das vielleicht einen Wunsch aus, sich auf abstrakte Weise mit allen positiven Seiten des Dorflebens zu verbinden wie zum Beispiel mit dem Gefühl der Zugehörigkeit, der Sicherheit, einem stilleren Leben. Aber all das ist natürlich eine Illusion, ein Hirngespinst. Im global village haben wir weder Übersicht, noch Kenntnis aller Details, und unser Körper gehört zu keinem Ort. Ist Muzaks Hintergrundmusik die global music eben dieses Hirngespinstes: ein lahmer – von unseren Stimmen verfremdeter – Ausdruck des Begehrens nach einer Gemeinschaft, des Wunsches nach Zugehörigkeit? Und sind die CDs mit ihren namenlosen Umweltklängen und dem anonymen Musikgeriesel die neue Generation der global music, die in die Fußstapfen von Muzak getreten ist?

Könnte man, angesichts dieser Fragen vielleicht das Aufnehmen von Umweltklängen als eine konstruktivere, konkretere Art der globalen Aktivität ansehen, gerade weil uns der Akt des Aufnehmens und des Zuhörens ein Gefühl der Örtlichkeit, der Zugehörigkeit gibt? Bei Klangaufnahmen sind wir zwar durch Mikrophon und Kopfhörer vom direkten Zuhören zur Umwelt abgeschnitten, hören aber alle Klänge verstärkt und näher. Für Stadtmenschen, deren Ohren akustische Weite und Ferne selten erleben, kann solch ein Hörerlebnis beim Aufnehmen paradoxerweise doch zu einem tieferen Verhältnis zur Klangumwelt führen und kann damit unumgänglich ein vertieftes inneres Hören schaffen, ein neues Verhältnis zu Klang und Stille.

„Nirgendwo steht geschrieben, daß Klänge hörbar sein müssen. Im Gegenteil – die Sprache verwendet das Wort seit je auch für Unhörbares. Die klassische Definition des Musikinstruments (daß es nämlich dazu da ist, Klänge hörbar zu machen) impliziert, daß die Klänge vorher schon da sind; sie müssen eben nur hörbar gemacht werden.“2

2
Joachim Ernst Behrendt, Das Dritte Ohr – Vom Hören der Welt, (1988, Hamburg: Rowohlt), 223.

„Die Weisheit aller östlichen Kulturen – von China und Japan über Indien bis hin zu den Sufis Persiens und den Derwischen der Türkei – ist zutiefst von der Überzeugung geprägt, daß die Welt voller unhörbarer Klänge sei, und daß eben dies das Kennzeichen des höheren Bewußtseins ist: sie im eigenen Inneren hören zu können. Der ,Shabd‘ – der innere Weltenton – kann durch die Sinne nicht erfaßt werden ...er kann gehört werden ohne Ohren, heißt es bei dem Sikh-Weisen Majh War.“3

3
Ibid., 225.


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