- 383 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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über jene der GTTM eigenen psychologischen Begründung hinausgehend allgemeine Modelle der Gruppierung, der metrischen Strukturierung, der motivisch-thematischen Gestaltung und der harmonischen Semantik entwickelt hat. Eine Gegenüberstellung dieser Theoriegebäude wäre überfällig.

Daß andererseits die Mathematische Musiktheorie im angelsächsischen Raum bisher kaum Fuß gefaßt hat, liegt – über das Sprachproblem hinausgehend – auch an einer Egozentrik, welche aus der technologischen Führungsrolle der USA auch auf andere Gebiete übergegriffen hat. Es liegt aber auch daran, daß die amerikanische Set Theory zwar mathematisch formal ausgelegt ist, aber auch in den USA nie eine Akzeptanz erlangt hat, die über einen engen Kreis von Spezialisten hinausgeht. Dies mag damit zusammenhängen, daß die Set Theory sich stark auf die Dodekaphonie konzentriert hat und der Musikwissenschaft nur wenige und bedingt durch die formale Hermetik nur schwer zugängliche Modelle musikalischer Prozesse von allgemeinem Interesse verfügbar gemacht hat.

Die folgende Auseinandersetzung mit der GTTM kann im gegebenen Rahmen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, weder in der Auswahl der Themen, noch in der kritischen Aufarbeitung. Das Ziel dieses Beitrags ist es vielmehr, einen konstruktiven Dialog zu eröffnen zwischen einer starken, aber formal fragwürdigen und ontologisch einseitigen psychologischen Perspektive in der Erfassung musikalischer Prozesse und Strukturen einerseits, und einer zwar formal durchdachten und theoretisch leistungsfähigen, aber kognitionspsychologisch noch wenig evaluierten Mathematischen Theorie der Musik5

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Eine Ausnahme bilden einige neurophysiologische Untersuchungen, siehe etwa: Mazzola, Guerino et al.: A Symmetry-Oriented Mathematical Model of Classical Counterpoint and Related Neurophysiologiscal Investigations by Depth-EEG. In: Istvan Hargittai (ed.): Symmetry II, CAMWA, Pergamon, New York 1989.
.

1.1.  Psychologie und Globalisierung

Es ist ein mit Descartes initiierter und heute vor allem in der angelsächsischen Kulturwelt weit verbreiteter Topos, die Musik psychologisch begründen zu wollen. Die GTTM setzt sich denn auch das folgende Rahmenprogramm6

6
GTTM’83, p. 1.
:

We take the goal of a theory of music to be a formal description of the musical intuitions of a listener who is experienced in a musical idiom.

Dies ist auch im Randtitel des Textes als Music Theory as Psychology paraphrasiert. Musiktheorie ist damit eine psychologische Theorie. Sie ist einer Realitätsebene zugeordnet, welche sich von der mentalen (etwa der Mathematik) oder der physikalischen Ebene (etwa der Akustik) wohl unterscheidet. Musiktheorie ist aber in dieser Definition auch eine Hörtheorie, d. h., sie grenzt sich in der Kommunikationskette vom Komponisten und vom Werk ab. Wir müssen an dieser Stelle die globale Topographie musikalischer Ontologie in Erinnerung rufen7

7
Mazzola, Guerino: Geometrie der Töne. Birkhäuser, Basel 1990.
, welche sich in drei Dimensionen erstreckt: die Vielfalt der Realitätsebenen zwischen psychologischer, mentaler und physikalischer Ebene; dann die von Jean Molino entworfene und von Paul Valéry präzisierte Vielfalt der Kommunikationen zwischen Poiesis

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