- 54 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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ohne um Erlaubnis bei möglichen Rechteinhabern nachzufragen. So entwirft sich eine selbstorgansisierende Kunst, die in jedem Moment eine andere spannende wie ereignisreiche, weil unwahrscheinliche Wendung nehmen kann. Man kann von einer theoriefreien Musik sprechen, denn explizite Regelungen zur Formgestaltung sind nicht vorgesehen. Sie folgt weniger Regeln, als dass sie ihre Regeln im experimentellen Spiel schafft wie zugleich widerlegt. Eine jede sich abzeichnende Regelung erscheint durch einen bezeichnenden Unterschied von anderer Seite in der Auflösung und erweist sich so als vorübergehender Trugschluss. Das Spiel ähnelt so einer Entdeckungsreise mit ungewissem Ausgang. Man lässt sich treiben, solange es nur Spaß macht und schreitet ein, wo es einem nur Sinn macht.

Die Kompetenz für dieses Spiel der losen Netzwerk-Kopplungen erwirbt man zuvorderst durch ein aufmerksames Beobachten. Die ersten Schritte im Netz sind ohnehin zunächst einmal gekoppelt an die Tätigkeit des Beobachtens oder Lauschens: „Ich lausche seit Wochen. [. . . ] Lauscher zeigen sich nicht im Netz. [. . . ] Lauschen ist die Larvenphase im Leben eines Nethead.“4

4
Herz, J.C.: Surfen auf dem Internet. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 14
Es ist eine Orientierungsphase, bei der Netzwerkreisende eher durch das Netz stolpern, sich überraschen lassen und weiterstolpem. Von Stolpern zu reden scheint nur angemessen, denn von einem zielgerichteten Werdegang kann kaum die Rede sein in einem Medium, das praktisch nur aus mannigfaltigen, unübersehbaren Verzweigungen besteht. Etwas später wird die Gangart gewechselt, und es folgt ein eher kontrolliertes Flanieren, das manche Weggabelung auslässt, aber selbstredend ohne konkretes Ziel ist. Die ganze Zeit bleibt das Lauschen oder Beobachten die Haupttätigkeit, bis der Netzwerkneuling der passiven Anteilnahme schließlich überdrüssig wird. „Aber nach einer Weile verliert das Belauschen seinen Reiz. Die Lernkurve flacht ab. [. . . ] Also sagt man selbst etwas. Irgend etwas.“5
5
Ebd., S. 15
So gilt es, nachdem zunächst dem Spiel der anderen zugehört wurde, selber etwas zu sagen. Ein solche einfordernde Mitsprache gründet in einem aufmerksamen Horchen, das das Gehorchen ausschließt. Mit diesem Schritt erst beginnen flanierende Musikanten dem Medium gerecht zu werden, indem sie sich aus der passiven, rezeptiven Haltung aufrichten und selbst zu sagen beginnen. Diese Haltung ist nicht nur ungewöhnlich, sondern vor dem Hintergrund zur Zeit noch dominierender gesellschaftlicher Medienordnungen ausgesprochen unwahrscheinlich.

Von Lehrenden und Belehrten – Das Projekt der Avantgarde

Gesellschaft heute noch ist klar getrennt in eine kleine Schar von Sendern, die etwas mitzuteilen haben, und in den ganzen nicht unerheblichen zum Empfang bereiten Rest, der zu gehorchen gewohnt ist. Diese Rezeptionsform des nachvollziehenden Gehorchens ist auch der Kunst – trotz mancher Interaktionsbemühungen – mithin noch die gewöhnliche, so dass mit Hans Belting gesagt werden kann: „Kunst ist in einer hartnäckigen Weise gebunden an einen Künstler, der sich darin persönlich ausdrückt, und an einen Betrachter, der sich davon persönlich beeindrucken läßt.“6

6
Belting, Hans: Das Ende der Kunstgeschichte. München 1995, S. 15

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