- 11 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936)      

Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 1966 (die erste Fassung erschien in einer frz. Übersetzung in: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 5, 1936)


scheinen angesichts der technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in wesentlichen

Punkten nicht mehr zeitgemäß.

Eine historische Entsprechung zu unserer Zeit finden wir am ehesten in der Renaissance, deren Ideal, die Erscheinungen selbst zu Wort kommen zu lassen, einen Widerhall in unseren Bestrebungen nach ganzheitlichen Erkenntnismöglichkeiten findet. Die Notwendigkeit, dialektisch, in der Einheit von Gegensätzen, zu denken, trifft so auf eine andere Seite unserer Lebensrealität, die diese so erkannte Welt in möglichst kleine, einfache und präzise Entscheidungs-Einheiten zerlegen möchte: Ja oder Nein, Null oder Eins, An oder Aus ...; ich denke, sie kennen die banalen Spielregeln der binären Codes.

Das digitale Zeitalter stellt uns vor quantitativ wie qualitativ neue Erscheinungsformen einer Welt, in der wir erst allmählich lernen uns zu bewegen. Eine Welt der Simulationen, wie sie uns in Computerbildschirmen und Medien begegnet, ist uns von ihren Kommunikationsbedingungen wie "Natur"gesetzmäßigkeiten her fremd.

Dabei geht es längst nicht mehr um utopisch-exotische Forschungsgebiete weitab aller Realitäten. Die aktuellen Entwicklungen, wie sie z.B. in dem Schlagwort "Multimedia" zusammengefaßt werden, und zu denen zu einem wichtigen Teil auch die Musikelektronik gehört, konfrontieren uns zunehmend dringlicher mit diesen Fragen. Am konsequentesten entwickelt findet sich dieser Komplex in der Virtual Reality-Forschung. Der wirklich künstliche, weil vom Computer simulierte Raum - im Unterhaltungssektor Cyberspace genannt - , ist die zu Ende gedachte Entwicklung einer jahrhundertealten Auseinandersetzung zwischen der ästhetischen und der technologisch vergegenständlichten Selbst- und Welterfahrung.

Mich interessiert vor allem, was sich heute durch den Einsatz dieser neuen Technologien verändert, welchen Einfluß sie auf unsere wissenschaftliche, künstlerische und ästhetische Arbeit und Wahrnehmung haben. Was ist der Kern des angedeuteten Umbruchprozesses? Was für Entwicklungen und Tendenzen, ja auch welche Utopien und Phantasien lassen sich heute bereits benennen? Können Wirkungszusammenhänge zwischen technologischen und musikalischen Entwicklungen in den verschiedenen Genres - wie sie jahrhundertelang gültig waren - auf heute übertragen werden?

Egal, ob hier die Neue Musik oder eine neue Musik gemeint ist, egal auch, ob die neuen Technologien oder irgendeine Technologie gemeint ist, impliziert der Titel dieses Vortrages doch die These einer engen Wechselbeziehung zwischen einer technologischen Entwicklung und ihren Auswirkungen bis in ästhetische Entscheidungen hinein. Nur das mitschwingende Fragezeichen deutet vielleicht darauf hin, daß es in diesem unterstellten Wechselverhältnis nicht oder nicht mehr ungebrochen zugeht.


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