- 231 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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herigen Arbeiten, die der analytischen Interpretationsforschung zugehören, werden dabei vorwiegend synthetische Beispiele verwendet, die im Vortrag auf dem Disklavier zur Aufführung gelangten. Wir erfassen eine gehörte Musik als sinnvoll gestalteten Zeitverlauf, indem wir ihr einen Takt unterlegen und die einzelnen Töne oder Figuren dem Takt zuordnen. "Rhythmische Gestaltung" bezieht sich auf das Verhältnis zwischen individueller Zeiteinteilung der Musik und Takt, während sich "agogische Gestaltung" auf das Verhältnis zwischen Takt und (physikalischer oder psychologischer) Zeit bezieht.

Natürlich ist diese Betrachtungsweise grob vereinfachend und unvollständig, weil sich das musikalische Metrum, in dem sich die rhythmische Gestaltung abspielt, nicht immer auf einen Takt in dem Sinne der notenschriftlichen Konvention reduzieren läßt und weil eine strenge Trennlinie zwischen rhythmischer und agogischer Gestaltung kaum noch zu ziehen ist, sobald sich Zeitstrukturen auf beiden Ebenen gleichzeitig in komplexer Weise ausprägen.

Der letzte, analytische Teil meiner Dissertation bietet einige Beispiele dieser Art.


Daher führe ich den Begriff musikalische Zeit als Verallgemeinerung des Taktbegriffs ein und meine damit den Hintergrund, auf dem sich der rhythmische Vordergrund abspielt. Die musikalische Zeit ist keine objektive, sondern eine subjektive Gegebenheit, die sich bei jedem Hörer etwas anders darstellt und auch bei ein und derselben Klangstruktur und demselben Hörer vom Kontext beeinflußt werden kann. Das zeigte auch ein kleines Hörexperiment, das beim Vortrag vorgeführt wurde. Dabei wurde dieselbe fünftönige Melodie (d.h. bei gleichbleibendem Zeitverlauf und gleicher Dynamik) mit verschiedenen Begleitungen vorgeführt, wobei die Begleitung jeweils den Tempoverlauf und somit die rhythmische Deutung der Melodie mehr oder weniger genau festlegte. Die Umdeutbarkeit der Melodie wurde dabei dadurch begünstigt, daß die Tondauern der Melodie zueinander in irrationaler Beziehung (1:2) standen. Dabei ergaben sich - bei gleichbleibendem Zeitverlauf der Melodie! - etwa folgende Deutungen:



Notenbeispiel 1



Notenbeispiel 2


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